Statt des goldenen Bären flimmert im Kino in den Hackeschen Höfen das Logo des Kinofestes Lünen über die Leinwand. Eine Delegation aus Westfalen hat sich auch 2017 zur alljährlichen Stippvisite bei der Berlinale aufgemacht und noch einmal zwei Gewinnerfilme gezeigt.
„Als Schauspieler ist das ein Geschenk Gottes, so eine Rolle spielen zu dürfen“, sagt Felix Schäfer nach der Projektion des Psychothrillers „Freddy Eddy“ am Abend des 13. Februar. Schäfer ist der Hauptdarsteller des Films von Regisseurin Tini Tüllmann, der Mitte November vergangenen Jahres beim Kinofest in Lünen den Hauptpreis – die „Lüdia“ – gewonnen hatte. Und Schäfer darf sich sogar als zweimal ausgezeichnet fühlen, schließlich übernimmt er in Tüllmanns Langfilmdebüt nicht nur die Figur des Freddy, sondern auch die seines Zwillingsbruders Eddy. Der ist jedoch tot, oder vielleicht doch nicht so ganz?
Ein Bild zu malen, bedeute eine Welt zu erschaffen, sagt Freddy, seines Zeichens Maler, gleich zu Beginn in die Kamera. Doch könne man nie so dunkel malen wie die Realität. An dieses Motto hält sich der Film in den folgenden anderthalb Stunden. Das teils amüsante, teils gruselige Treiben des gutmütigen Freddy und seines draufgängerischen Konterparts Eddy, wird dabei immer wieder von langen Einstellungen des Tegernsees unterbrochen. In dem Alpenpanorama scheinen sich zwei Facetten der einen Persönlichkeit zu vereinen. Auf der einen Seite ein wunderschönes Postkartenmotiv, ein idyllischer Ort, wo die Nachbarn – in diesem Fall die von Jessica Schwarz verkörperte Paula – noch Salz und Brot zu den neuen Bewohnern bringen. Doch zugleich versprüht diese heile Welt auch eine bedrückende, fast schon bedrohliche Stimmung, die wiederum von Eddy ausgeht.
Tüllmann, deren Großvater am Tegernsee lebte, hat an der KHM studiert. An der Bar vor dem Kinosaal gibt es vor dem Film dann auch ein kleines Kölner Treffen, das wiederum einen Lünen-Bezug hat. Tüllmann trifft dort auf Jan Martin Scharf und Arne Nölting, beide KHM-Absolventen, die 2005 in Lünen gewannen. „Früher an der Uni habe ich immer gedacht: Boah, die dürfen nach Lünen. Und dann auch: Boah, die haben Lünen gewonnen. Und jetzt stehe ich hier“, sagt Tüllmann in Berlin, ihrer jetzigen Heimat. Bis dahin war es jedoch ein beschwerlicher Weg für die Filmemacherin. Für die Idee ihres Genrefilms ließ sich kein Fördergeld auftreiben. Sie habe dann beschlossen, es so zu versuchen. 75.000 Euro hatte sie insgesamt zur Verfügung, alle hätten ohne Geld mitgearbeitet. „Wir haben im Februar 2016 begonnen, an insgesamt 27 Tagen gedreht, und waren im Oktober fertig. Immer wieder, wenn jemand ein anderes Projekt hatte, hat der Film pausiert“, berichtet Tüllmann.
Die Bedeutung des Kinofests Lünen für die westfälische Kleinstadt wurde durch die Anwesenheit des Bürgermeisters Jürgen Kleine-Frauns in Berlin verdeutlicht. „Ich freue mich sehr, den Gewinnerfilm heute zu sehen. Ich hatte beim Festival in Lünen versucht, möglichst viele Filme zu sehen, diesen hier aber nicht geschafft“, so der Amtsträger. Mehr Filme als die meisten hat über die Jahre wohl Kathrin Bessert im Rahmen des Kinofests gesehen. Für die stellvertretende Leiterin des Kinofestes, war die Berlin-Visite zugleich ein Abschied nach vielen Jahren an der Seite von Festivalleiter Michael Wiedemann. 2005 war das Team Wiedemann/Bessert das erste Mal gemeinsam für das Kinofest verantwortlich.
Neben des Gewinners der „Lüdia“ wurde an diesem Abend auch der Sieger des Kurzfilmpreises „Erste Hilfe“ erneut projiziert. Tarek Roehlingers Film „Un état d‘urgence“ dreht sich um zwei Pariser Polizisten und einen herrenlosen Koffer. War es bei „Freddy Eddy“ vor allem der veränderte Blick, der die beiden Charaktere voneinander unterschied, stehen auch bei Roehlingers Film erneut Blicke im Mittelpunkt. Der Film, den der Ludwigsburger Student während eines Austauschs in Paris nur zwei Wochen nach den Terroranschlägen 2015 drehte, beginnt mit einer Fahrt in einem fahrenden Polizeiauto. Die Augen der Polizisten scannen die französische Hauptstadt durch das Autofenster ab. Während sie einen verlassenen Koffer beobachten, sind es vor allem Wechsel zwischen der Perspektive der Polizisten und jener aus einem offenen Fenster nahe des Koffers, die Misstrauen und Angst schüren.
Eine Stimmung, die in beiden siegreichen Filmen zu spüren ist und sich besonders in Hinblick auf Tüllmanns Psychothriller erst beim Gang aus dem Kinosaal – die Treppen hinunter zum Empfang in der Gaststätte Oxymoron – entlädt. „Schon ein ganz schöner Schocker“ so ein Besucher-Fazit.
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