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„Gilgamesh“
Foto: Thomas Rabsch

Mesopotamische Familienprobleme

29. September 2016

Neustart am Düsseldorfer Schauspielhaus – Theater Ruhr 10/16

Der Name der Stadt liegt in Trümmern. Stümpfe der Lettern stecken in Sand und Schlamm, unleserlich, zerborsten. Die Schauspieler setzen die Bruchstücke wieder zusammen, bis daraus Uruk wird, der Name der ersten uns bekannten Weltstadt überhaupt. Damit öffnet sich auch die Plane des großen Zirkuszelts an der Düsseldorfer Einkaufsmeile Kö und das Ensemble schweift in die Stadt aus.

Es ist die beste Szene eines allzu konventionell geratenen Auftakts der Intendanz von Wilfried Schulz am Düsseldorfer Schauspielhaus. Angetreten, das gebeutelte theatrale Flaggschiff der Landeshauptstadt zu profilieren und neu in der Stadt zu verankern, ist das neue Team zunächst gezwungen, zwei Spielzeiten in einem Zelt am Corneliusplatz zu campieren. Um den Auftakt sinnfällig zu machen und ihn vielleicht auch etwas großspurig als Uranfang zu deuten, musste ein Mythos her: Das fünftausend Jahre alte Epos „Gilgamesh“, eine Schöpfungsgeschichte um den gleichnamigen Tyrannen und die von ihm mit einer Mauer umbaute Stadt Uruk. Hausregisseur Roger Vontobel stützt sich in seiner Inszenierung auf eine Mischung aus Übersetzung und Nachdichtung, die Raoul Schrott 2001 vorgelegt hatte und die den Mythos an die Gegenwart anschließen soll.

Vor einer Bühne, auf der eine dreiköpfige Band rockt, ist ein Hügel aufgeschüttet. Das Volk in gold-schwarzen Hosen und Leibchen stampft und trampelt, springt und ringt, hupft und kriecht vor dem brutalen, allmächtigen Gilgamesh. Christian Erdmann im Dinnerjacket wirkt allerdings eher wie ein gelangweilter Junge, der zu gewalttätigen Übersprungshandlungen neigt, mit Huren rummacht und ansonsten seufzend den gequälten Untertanen zusieht. Vermutlich schlecht erzogen. Er wohnt ja auch noch mit Mama Ninsun zusammen – von Michaela Steiger als divenhaftes Vollweib im bodenlangen Silberlamékleid gespielt. Mesopotamische Familienprobleme.

Was dem Jungen fehlt, ist ein Freund, meint das Volk und barmt solange, bis Göttin Aruru endlich den Naturburschen Enkidu schickt. André Kaczmarczyk spielt ihn als nachdenklich-schmalbrüstigen Wolfsjungen, der allerdings als kraftmeierndes Alter Ego den Hip-Hop-Tänzer Takao Baba an der Seite hat, sozusagen ein eigenes Seelchen fürs Grobe. Nach einem Kampf entscheiden sich Gilgamesh und Enkidu, gemeinsam die archaische Welt unsicher zu machen. Das ist dann allerdings mehr Wolfgang Herrndorf als mesopotamischer Mythos. Vontobels Inszenierung lebt aus dem Geist der totalen Aneignung, überzieht das Epos mit Gegenwart anstatt mit archetypischer Überzeitlichkeit. Bilder der Fremdheit findet sie nicht, weder für den Mord des Freundesduos an Humbaba, dem Wächter des Zedernwalds, noch für Gilgameshs – nach dem Tod Enkidus – verstörende Konfrontation mit der Frage von Sterblichkeit und Unsterblichkeit. Am Ende hilft Mama. Nicht nachdenken, machen. Carpe diem als Ewigkeitsgarantie: Die Mauer um die Stadt verlängert den eigenen Ruhm in die Zukunft. Das wird dieser Inszenierung nicht vergönnt sein, nicht jedem Anfang wohnt ein Zauber inne.

„Gilgamesh“ | R: Roger Vontobel | 5., 6., 14., 19., 21., 25., 27., 28.10. 19 Uhr | Düsseldorfer Schauspielhaus | 0211 36 99 11

HANS-CHRISTOPH ZIMMERMANN

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