Ein Königreich für ein Bett: Der völlig erschöpfte Landvermesser K. glaubt, endlich ein ruhiges Plätzchen gefunden zu haben – und landet doch nur unter der Decke des Sekretärs Bürgel, dem ersten Angestellten des Schlosses, der Mitgefühl zeigt. Doch in diesem Moment der Hoffnung überwältigt K. dann der Schlaf. Vertane Chance oder Flucht vor einer weiteren Niederlage? Selbstbewusst und ein wenig arrogant ist K. (Moritz Führmann) ins Dorf gereist, um seinen Job als Landvermesser beim Grafen Westwest anzutreten. Doch in Düsseldorf steht er zunächst vor einem riesigen abweisenden Holzquader, einer undurchdringlichen Kaaba. Dass die blockhafte Struktur immerhin noch eine Verortung von außen und innen ermöglicht, wird später klar, wenn sie sich in fahrbare Elemente auflöst. Immer neue Konstellationen schaffen immer neue Räume. Figuren verschwinden und tauchen auf. Orientierung ist unmöglich geworden.
Jan Philipp Gloger setzt am Düsseldorfer Schauspielhaus Kafkas Roman als faszinierendes Spiel der räumlichen Orientierungslosigkeit in Szene, das komplementiert wird durch eine undurchdringliche Welt der Mehrdeutigkeit. K. setzt auf klassische kapitalistische Soft Skills: Vertrauen, Rationalität, Hierarchie, Vertragsabsprachen. Doch nichts ist, wie es scheint. K‘s Deutungsversuche laufen ins Leere. Er kuschelt zwar mit der kühlen Frieda (Tabea Bettin), doch er täuscht sich in ihrem Verhältnis zum übergeordneten Klamm. Und Barnabas (Jonas F. Leonhardi) ist keineswegs der wichtige Bote des Schlosses, sondern zusammen mit seiner rotschopfigen Familie die Inkarnation der gedemütigten Kreatur. Immer wieder klettern die Figuren die Wände hoch, K. hängt sich auch mal in Kreuzigungspose in die Bretter, die hier wirklich die Welt bedeuten – und verliert allmählich jeden Glauben an seine eigenen Werte. Die geradezu instrumentelle Mehrdeutigkeit der Schlossverwaltung ruft schließlich völlige Erschöpfung hervor. Was das Schloss ist, bleibt offen: Von der verwalteten Welt über die absolute Macht bis zum Wertepluralismus ist vieles möglich. Auch wenn die Parallelen zur Gegenwart zwischen Fakt und Fake News schlagend sind, Gloger enthält sich jeder Anspielung, ist gerade darin von brennender Aktualität.
„Das Schloss“ | R: Jan Philipp Gloger | 4., 18., 23.10. 19.30 Uhr | Düsseldorfer Schauspielhaus | 0211 36 99 11
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