Viele schulisch Gebildete wissen, dass Georg Büchners „Woyzeck“ aus 27 Szenen besteht. Wäre es nur eine Szene mehr, hätte man die klassische Anzahl eines Skatspiels zusammen. Gemischt wird im Theater dennoch nach Herzenslust. Den armen Soldaten werden die Bühnen nicht los, als ewiges Sozialdrama galt und gilt er mal als an der Gesellschaft leidendes Opfer, mal als Synonym für das Viehische im Menschen. Immer aber ist er von scheinbar bewiesener Eifersucht getrieben.
So ist es das Fragmentarische, das der Beliebigkeit Tor und Tür öffnet und die agierenden Menschlein unter sich begräbt. Die einzige Konstante: Unter allen Variationen bleibt die Tat an Marie ein Femizid ohne jegliche Rechtfertigung oder Entschuldigung. Am Düsseldorfer Schauspielhaus inszeniert die Regisseurin und Medienkünstlerin Luise Vogt jetzt die Geschichte um den Soldaten Woyzeck, der für seine Geliebte und ihr Baby jede zusätzliche Arbeit annehmen muss, weil der klägliche Sold nicht ausreicht. Dabei gerät er in die Fänge von Hauptmann, Tambourmajor und Doktor, die ihn alle mehr als unmoralisches Objekt denn als Mensch betrachten und die deshalb alle zur Ursache für die spätere Wirkung gehören. Vorher haben sie billige Weltformeln parat wie: „Moral, das ist, wenn man moralisch ist.“Woyzeck wird also gedemütigt, erniedrigt, gequält, insbesondere auch medizinisch: Der skrupellose Arzt zwingt ihn aus pseudowissenschaftlichen Gründen zur gesundheitsschädlichen Mangelernährung, um experimentell körperliche Phänomene zu generieren. Dennoch schwingt erstaunlicherweise der Herrgott des 19. Jahrhunderts durch die genialen Büchnerschen Textfetzen immer mit. Inwieweit das aktuelle Theater für die Generation Y und folgende im Femizid-Drama überhaupt noch neue Kristallisationspunkte finden kann, bleibt abzuwarten. Immerhin hat eine Hamburger Abiturientin im vergangenen Jahr den „Woyzeck“ in eine zeitgenössische Jugendsprache transkribiert. Luise Vogt wird in Düsseldorf wohl wieder viel visuelle Technik auffahren, um ihre Version des Abitur-Klassikers zu präsentieren. Bleiben wir gespannt, wie gut das Täter-Opfer-Konstrukt dann funktioniert.
Woyzeck | Fr 9.2.19.30 Uhr (P) | Düsseldorfer Schauspielhaus | 0211 36 99 11
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