Wenn Männer längere Zeit auf engstem Raum zusammengepfercht sind, sollte man Wunderbäumchen aufhängen. Auf der Düsseldorfer Bühne sitzen immerhin sieben Musiker (Leitung: Franz Alexander Klee) in einem engen Gefängniskäfig. Da die „Dreigroschenoper“ von Brecht/Weill viel Musik enthält, also viel gearbeitet werden muss, kann es schon mal zu Geruchsverwehungen kommen. Damit ist das Niveau von Andreas Kriegenburgs Inszenierung umschrieben: Kalauer („Brecht und Ordnung“), brechtisch-epische Witzeleien zur Bühnensituation, komische Versprecher in jelinekscher Entlarvungsmanier, alberne Alliterationen. So viel Unterhaltung war lange nicht, so viel politische Wirkungslosigkeit auch nicht.
Das Bettlerensemble ist in einen punkigen Lumpenchic mit viel Streifenmuster gewandet, die Gesichter sind überschminkt, abblätterndes weißes Makeup, knallrote Lippen. Es wird um den zentralen Gefängniskubus herumchargiert, als ob es kein Morgen gäbe. Irgendwo zwischen Kasperletheater, Grand Guignol und expressionistischem Film. Ein großes Fratzentheater, das als Travestie der Dreigroschenoper daherkommt, die ja selbst schon eine Travestie der großen Oper sein soll. Das führt vor der Pause vor allem zum völligen Stillstand der Handlung um Maceath‘ Heirat mit Polly, der Tochter des Bettlerkönigs Peachum, und sein Verrat durch die Huren von Soho, die zu seiner Verhaftung führt.
Brechts „Dreigroschenoper“ wird von Kriegenburg sozusagen in ihrem Unterhaltungswert ernst genommen. Das ist durchaus brillant gespielt, lange nicht hat man das Düsseldorfer Ensemble mit einer solchen Präzision agieren sehen. Rainer Philippis Peachum lässt mit Schnauzbart und Haarsträhne den großen Diktator ahnen. Oder vielleicht doch eher den Arturo Ui? Sein Widersacher und Schwiegersohn Macheath gewinnt bei Serkan Kaya seine Bedrohlichkeit durch eine lauernde, ausgestellte Feingeistigkeit, die im Zusammenspiel mit Polly Peachums (Lou Strenger) gespieltem punkigem Schmachten ein groteskes Bürgereheglück ergibt. Claudia Hübbeckers Frau Peachum versteckt ihre Mutterstrategie hinter Unzurechnungsfähigkeit, Thomas Wittmann gibt den Polizeichef Brown als Schaubudenfigur aus dem Kindertheater.
Sicher, der politische Gehalt der „Dreigroschenoper“, der Austauschbarkeit von Verbrechen und bürgerlicher Welt, die Travestie von Kunstformen, die Dominanz des Marktes, der Mensch als Ware sind zu einfach für eine Beschreibung einer komplexen Gegenwart. Doch Kriegenburg zieht daraus den Schluss, politische Bezüge nur noch als kalauerndes Assoziationsmaterial vom Antisemitismus bis zur Globalisierung bereitzustellen. Im zweiten Teil läuft dann die ironische Emotionalisierungsmaschine auf Hochtouren, wenn die Polly, Lucy und Jenny ihre Macheath-Eifersuchts- und Abschiedsarien anstimmen. Und dann fehlt selbst die Slapstick-Torte nicht, die aber (Achtung: Frauen!) nur als Frustnahrung dient. Selten wurde einem Brechts durchschlagende Wirkungslosigkeit als Klassiker derart eindringlich vor Augen geführt.
„Die Dreigroschenoper“ | R: Andreas Kriegenburg | 8., 10., 30.12., 5.1. 19 Uhr | Düsseldorfer Schauspielhaus | 0211 36 99 11
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