Politisches Alltagsgeschäft auf der Bühne ist trostlos. Selbst Intrigen, Hinterzimmertreffen, Abwerbungsversuche interessieren als theatralische Geschmacksverstärker eigentlich kaum einen Dramatiker. Dass das nicht so sein muss, zeigt ausgerechnet Friedrich Schiller in seinem dreiteiligen Historienschinken „Wallenstein“, den Regisseur Hasko Weber am Schauspielhaus Düsseldorf herausgebracht hat.
Die Trilogie beginnt mit „Wallensteins Lager“, einer Schilderung des Kriegsgeschehens „von unten“. Also aus der Sicht von Soldaten, Huren, Bauern, Pfarrer. Die genrehaften Massenszenen reduzieren sich bei Weber auf zwei Darsteller, die im Galopp das Bühnenbildkreuz herabtraben und mit der Mitra auf dem Kopf geifernde Kirchentattergreise oder den martialischen Söldner geben. Das wirkt in seiner vordergründigen kritischen Bemühtheit etwas altbacken und unfreiwillig komisch, auch aufgrund des Schillerschen Knittelverses. Doch schon in „Die Piccolomini“, dem zweiten Teil der Trilogie, strampelt sich die Aufführung frei.
Spannend die große Generalsversammlung: Der Abgesandte Questenberg überbringt wie ein NATO-General die kaiserliche Order und wird von Wallenstein vor den Militärs, die auf Campingstühlen sitzen, lächerlich gemacht. Questenberg hat allerdings zuvor mit Octavio Piccolimini gesprochen, der im Auftrag des Kaisers gegen Wallenstein intrigiert. Das ist Hitchcock pur. Regisseur Hasko Weber transponiert das Stück zwar über die Kostüme in einen fiktive Gegenwart, erspart uns aber jede konkrete Aktualisierung. Von ein paar kleinen Mätzchen abgesehen, setzt er ganz auf Schillers Sprache, psychologische Feinzeichnung bis in die Nebenfiguren und ein qualitativ sehr homogenes Ensemble. Johanna Geißler als Gräfin Terzky ist eine Machtstrategin par excellence; Nora Quest als Wallensteins Tochter Thekla und Tobias Schormann als Octavios Sohn Max geben ein zwischen Innigkeit, Wut und Empörung schwankendes Liebespaar, das im Malstrom der Geschichte untergeht; faszinierend präsent in seiner Haudrauf-Virilität: Krunoslav Šebrek als General Illo; nur Ingolf Müller-Beck als Octavio bleibt letztlich zu verschlagen-unentschieden, um als Politstratege durchzugehen.
Schließlich Dominique Horwitz als ambivalenter Titelheld, der mit seinen Fingerringen als eitel, trotzdem einnehmend, dann wieder sozial extrem überheblich und autoritär gezeichnet ist. Am Ende trottet er auf der Podestbühne des dritten Teils im Kriegsmantel wie der abgehalfterte Hitler anno ’45 einher. Horwitz‘ Wallenstein ist ein Kompositum aus Haltungen, die von einer Fassade brandgefährlicher Freundlichkeit zusammengehalten werden. Der Mord an ihm am Ende erweist sich dann in aller Kälte nur noch Vollzug eines Sachzwangs. Entmachtet ist er längst. Die Inszenierung führt Politik als einen Malstrom aus Loyalität, Winkelzügen und Abhängigkeit vor, aus dem es für das Subjekt kein Entkommen gibt. Die „freie Tat“, so General Buttler (stoisch: Sebastian Kowski), ist unmöglich geworden. So spannend und so brutal kann Politik sein – auch wenn man nur Zuschauer ist.
„Wallenstein“ | R: Hasko Weber | keine weiteren Termine | Düsseldorfer Schauspielhaus
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