Auch Bühnenkollege Philip Ritter am Piano möchte das gerne wissen: Was empfindet Herr Hecht, wenn er all die Gegenstände in der Hand hält? Regenschirme, Mützen, Bürste oder Feuerzeuge wurden vom Publikum auf der Bühne im Depot abgelegt. Matthias Hecht macht aus diesen Gegenständen Komparsen oder besser Nebendarsteller. Objekttheater nennt das Dortmunder Duo Fischbar dieses Konzept: Mattias Hecht spricht Dialoge (mit dem Publikum – oder mit den Gegenständen), singt oder performt tiefsinnige Monologe. Eine One-Man-Show, die sich überhaupt nicht ernst nimmt. Begleitet wird der Spaß vom spontanen Piano-Soundtrack Philip Ritters. Ein unterhaltsamer Mix aus Stand-Up-Comedy und Improvisationstheater. Alles unbekümmert avantgardistisch – vor allem aber: stolze Szene.
Dann darum ging es an diesem Abend: Das beste, was die Freie Szene im Ruhrgebiet zu bieten hat, sollte bei den zweitägigen Petra-Meurer-Theatertagen auf der Bühne gezeigt werden. Oder wie es Moderator Rainer Holl formulierte: „Heißer Underground-Shit“.
Seit 2011 schon setzt sich das vom Institut für deutsche Sprache und Literatur sowie der Fakultät für Kulturwissenschaften der TU Dortmund, von DSW21 und dem Theater im Depot geförderte Festival das Ziel, innovative und freie Performance und Theaterprojekte auf der Bühne zu präsentieren. Ganz im Sinne der Namensgeberin: Denn die im Mai 2010 viel zu früh und völlig unerwartet verstorbene Literaturwissenschaftlerin und Dozentin der TU Dortmund hatte nicht nur einen exzellenten Ruf unter den Studierenden, sondern engagierte sich auch in der Förderung der freien Szene im Ruhrgebiet. Beim jährlich stattfindenden Dortmunder Theaterfestival wird den verschiedenen KünstlerInnen daher nicht nur eine Bühne gegeben; am Samstag darauf wurden auch die mit bis zu 1.500 Euro dotierten Preise im Depot vergeben. Ausgezeichnet wurden die KimChiBrot Connection für ihre Physical Theatre Performance „living happily ever after“. Weitere Preise gingen an Toboso für„We have to laugh before midnight“ sowie Anna Kpok mit der interaktiven Performance „Live Jump and Run“.
Das Performance-Kollektiv Anna Kpok war bereits am bereits am Vorabend aufgetreten. Mit „Die Teeparty des Kalifen“ hinterfragen sie anarchisch Geschlechter-Identitäten. Im Mittelpunkt: Eine blass geschminkte Figur, die mechanisch Tätigkeiten ausführt – waschen, Kosmetik auftragen, Tee einschenken. Aus dem rauschenden Off erklingen Fragen: „Hast Du deine wuchtigen Brauen entfernt?“ „Sitzt dein Rock an der stärksten Stelle?“ Subversiv stellen „Anna Kpok“ den Körper im Korsett von sozialen Rollen und gesellschaftlichen Normierungen zur Schau.
Leicht verdauliche Abwechslung ist dagegen der spätere Auftritt von Jan-Phillip Zymny. Der zweifache deutsche Meister im Poetry Slam gibt auf der Bühne Highlights seiner Solo-Show „Kinder der Weirdness“ zum Besten. Angst, Liebe und Nazis als bissige Satire und brüllend-komischer Nonsens.
Mit melancholischen Songs und melodischen Gitarrenriffs rundet schließlich das Dortmunder Musik-Duo Aniyo Kore den Performance-Abend im Depot ab.Subversiv und innovativ. Die Freie Szene zeigt an zwei Abenden, was sie zu bieten hat. Auch Petra Meurer hätte sicherlich ihre Freude daran gehabt.
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