Ausgangspunkt für „Zaurak“ (ein Stern: Gamma Eridani im Sternbild Eridanus) im Tanzhaus NRW in Düsseldorf war eine künstlerische Recherche zur Wahrnehmung von Zeit und Raum. Dabei ging es der australischen Choreografin Prue Lang wohl nicht nur um eine gleichnamige glühende Gaskugel, sondern auch um die fundamentalen Fragen von Mensch und Universum, von Materie und ihrer Beschaffenheit. Die Produktion wurde mit dem Kölner MichaelDouglas Kollektiv vor Ort erarbeitet.
trailer: Frau Lang, das Weltall hat keinen Anfang und kein Ende – warum erforschen Sie nur einen roten Stern?
Prue Lang: Dieser spezielle Stern Zaurak hat eine metaphorische, symbolische Bedeutung für uns: Wenn wir die Sternbilder über Australien und Deutschland vergleichen, dann ist dieser Stern an den Nachthimmeln beider Erdteile sichtbar. Ich lebe in Australien, das MichaelDouglas Kollektiv, mit dem ich zusammen arbeite, in Deutschland, aber wir können alle unseren Blick auf diesen einen Stern richten. Natürlich sehen wir ihn von unterschiedlichen Orten aus und zu unterschiedlichen Zeiten, aber in Australien können wir ihn sozusagen in Deutschlands Zukunft sehen – in Raum und Zeit.
Aber ist es für die Menschheit überhaupt möglich, die Präsenz von Raum und Zeit um sie herum wahrzunehmen?
Genau das ist die Fragestellung, die dem Stück zugrunde liegt. Unsere Recherche umfasste vier Aspekte: Auf der einen Seite die messbare Zeit und die nicht messbare Zeit, dazu der quantifizierbare Raum und der nicht quantifizierbare Raum. Das hört sich erst einmal ziemlich technisch an. Was uns aber mehr interessierte, war, sich alle damit verbundenen Phänomene anzuschauen und wie wir sie überhaupt wahrnehmen. Die Sichtweite des Hubble-Weltraumteleskops reicht eben nur bis zu einem bestimmten Stern, und je weiter sich die Technik noch entwickeln wird, desto größer wird die Wahrnehmung werden – und die Entfernungen im All als Raum.
Und die Wahrnehmung als Tänzer?
Als Tänzer interessieren wir uns sehr für den menschlichen Körper und unsere körperlich-physischen Erfahrungen. Daher haben wir uns auch mit einer Idee von Zeit und wie wir sie mit oder durch unseren Körper wahrnehmen, beschäftigt. Wir erfahren häufig Raum- und Zeitlosigkeit. Das sind diese Momente, wenn Zeit scheinbar stehenbleibt, wie wir es zum Beispiel erleben, wenn wir uns küssen oder einfach nur das Gefühl von Unendlichkeit im Körper haben. Wir interessieren uns in der Performance also für den Blick ins Universum und reflektieren unsere Fragen aus den Perspektiven von Astronomie, Astrologie, Naturwissenschaft und Spiritualität. Wir tun dies als Tänzer mit unterschiedlichen Erfahrungen und Empfindungen und Wahrnehmungen von Zeit und Raum.
Wie wäre dann tanzen in schwarzer Materie?
Eine sehr interessante Frage! Auf der einen Seite können wir Tanz über die Hände, über unsere Haut erforschen, und über deren Elastizität. Hier haben wir die Atome, die Moleküle, und wenn wir tiefer in unseren Körper gehen, haben wir noch mehr unterschiedliche Stoffe. Auf der anderen Seite steht, wie wir uns selbst von außen, beispielsweise in einem sehr großen Raum, wahrnehmen. Schwarze Materie ist sehr mysteriös. Es ist also eine faszinierende Frage, was wir darin anfangen könnten – wir nutzen dafür unsere Fantasie.
Vielleicht tanzt ihr ja jetzt schon die ganze Zeit in schwarzer Materie.
Das weiß ich nicht, vielleicht. Ein Teil meines choreografischen Arbeitsprozesses beinhaltet, den Körper als menschlichen aufzugeben und ihn stattdessen als elastisches Material zu begreifen. Man kann den Körper ausdehnen, verwandeln, er kann sich aufblasen und ausblasen. Wir arbeiten viel damit, dass wir unsere Erfahrungen, unser Können, die Geschichte des Tänzerkörpers, ablegen, um mit ihm als Material, als Substanz, zu agieren. Ich beobachte das von außen und schaue, was dies für Resonanzen für eine Choreografie ermöglicht – und das ist sehr interessant.
Wie wichtig ist dabei die Szenografie für die Choreografien?
Ja, das hat eine Bedeutung für mich. Manchmal arbeite ich mit sehr intimen Installationen und Setzungen, manchmal arbeite ich mit dem ganz großen Raum. „Zaurak“ entwickeln wir für einen großen Raum. Ich schaffe dafür Situationen, in denen die Zuschauer verschiedene Zugänge zu Zeit und Raum wahrnehmen können. Wir haben im Tanzhaus NRW ja eine Guckkastenbühne. Zu Beginn des Stückes breche ich diese damit einhergehende Trennung zwischen Akteuren und Zuschauern auf, indem die Tänzer in den Zuschauerraum gehen und jeweils kurz eine Beziehung zu einem Zuschauer aufbauen. Das funktioniert wie eine physische Einführung in das Stück und soll helfen, in die Choreografie einzusteigen. Es gibt eine Berührung oder ein kleines physisches Erlebnis auf einer persönlichen Ebene.
Schaffen Sie in Ihren Choreografien eher eine Balance zwischen Regeln und Unordnung im Raum oder ist es mehr ein Rotieren um den Planeten?
Tatsächlich beides. Wenn ich mit messbarer Zeit arbeite, hinterfrage ich auch, wie wir menschliche Systeme aufgebaut haben, mit Zeitstrukturen und Organisationen. Mich interessieren einerseits der Kosmos als geregeltes, harmonisches Ganzes, aber auch das Gegenteil davon: die Eruptionen, die Brüche und Sprünge, diese kleinen Momente von Nichtübereinstimmung oder auch völligem Chaos.
Die Frage nach dem Rotieren kam bei der Beobachtung von Bewegungsabläufen der Gruppe quasi als Assoziation.
Ja, das ist eine richtige Wahrnehmung. Mich interessieren die Vorstellungen des Orbits, von Umkreisen, Umlaufen, Umrunden, Ellipsen. Und das Symbol von Unendlichkeit. Alle diese Bewegungen sind Bestandteil meiner gesamten choreografischen Arbeit.
„Zaurak“ | Ch: Prue Lang | Fr 1.(P), Sa 2.12. 20 Uhr | Tanzhaus NRW, Düsseldorf | www.tanzhaus-nrw.de
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