Die Leipziger Filmkunstmesse rief, und über 800 Fachbesucher sowie 4000 öffentliche Besucher kamen. Am 19.-23. September veranstaltete die „AG Kino – Gilde deutscher Filmkunsttheater“ zum elften Mal in Folge die in Europa einzigartige Messe mit dem Schwerpunkt Arthouse. Seminare, Workshops, Previews, Filmbesprechungen, Regisseure, Partys und Preisverleihungen – die Filmkunstmesse bot eine Vielfalt an Veranstaltungen.
Die öffentlichen Besucher konnten sich auf 43 Filme des guten Geschmacks freuen: „Habemus Papam - Ein Papst büxt aus“, der umstrittene Erfolgsfilm aus Italien, eröffnete am Montag, den 19. September, das Programm. Mit „Melancholia“ kam Trier’sche Apokalypse, für Kleinere gab es unter anderem Hermine Huntgeburts „Tom Sawyer“, als Midnight Special wurde „Attack the Block“, der britischen Riot-Zombie-Film, präsentiert. Und noch weitere kleinere und größere Produktionen erwarteten die Zuschauer. Die größte Begeisterung konnte Pia Stratmanns Spielfilmdebüt „Tage, die bleiben“ im Publikum hervorrufen, weshalb es dieses mal komische mal ernste Familiendrama mit dem Publikumspreis ehrte. Ein besonderer Höhepunkt für Cineasten war das Filmgespräch mit Nesrin und Yasemin Samdereli („Almanya“), Karl Markovics („Atmen“) und Christian Zübert („Dreiviertelmond“), moderiert von Jörg Taszmann. Dieses Gespräch thematisierte das „Wie“ beim Filmemachen: Soll ein Film lediglich unterhalten oder doch versuchen, Einfluss auf die Gesellschaft zu nehmen? Heiter oder das ernste Abbild der Realität? Und welche filmischen Einflüsse sind für die Regisseure von Bedeutung? Das Arthouse-Kino?
Die Leidenschaft für, aber auch Sorge um das Arthouse-Kino brachte ebenfalls Kinobetreiber, Verleiher, Produzenten, Filmemacher und Förderer zusammen. Leidenschaftlich schauten die Fachbesucher 69 Filme, und die AG Kino verlieh Filmen, bei denen die Leidenschaft für das Medium zu spüren ist, ihre Preise: Als bester nationaler Spielfilm wurde „Nader und Simin – Eine Trennung“ von Asghar Farhadi prämiert, der bereits auf der Berlinale den Goldenen Bären gewann und nun auch in der Sektion „Bester fremdsprachiger Film“ für den Oscar nominiert ist. Zum besten Spielfilm auf nationaler Ebene wurde „Almanya“ von Nesrin und Yasemin Samdereli gewählt, Wim Wenders‘ „Pina“ zum besten Dokumentarfilm. Der Preis für den besten Kinderfilm ging an Hermine Hundtgeburths Neuverfilmung von „Tom Sawyer“.
Neben Prämierung ausgezeichneter Arthouse-Filme und Sichtung kommender Arthouse-Filme stand die große sorgenvolle Frage um die Zukunft der Filmkunsthäuser auf dem Programm. Bedeutendes Thema war – und bleibt – die Digitalisierung. Seminare und Workshops wie „Neue Technik, neue Erfahrungen: Überblick über Digitaltechnik“, „Ende des analogen Zeitalters: Neue Konzepte für das Kino?“ zeigten, dass das Neue den kleineren Kinos noch Sorge bereitet. Haben die meisten Cineplexe bereits die 35mm-Prjektoren verlassen und auf die digitale Technik umgestellt, steht dies den kleinen Kinos noch bevor. Die Finanzierung ist dabei sehr umstritten. Nicht alle Filmtheater erhalten die Zuschüsse der FFA (Filmförderungsanstalt) und des BKM (Beauftragter der Bundesregierung für Kultur und Medien). Besonders kleine, unabhängige Kinos haben bislang das Nachsehen. Problematisch dabei ist die Finanzierung seitens der Verleihfirmen, die die Zahlung von Virtual Print Fees verweigern, und die DCI (Digital Cinema Initiatives), Dachverband mehrerer amerikanischer Filmstudios, der den eigenen Standard in der Digitalisierung durchsetzen möchte. Aufgrund der Problematik hat die „AG Kino – Gilde deutscher Filmkunsttheater“ in Leipzig beschlossen, die Umrüstung auszusetzen, um die Verleihfirmen in die Pflicht zu nehmen, ihren Beitrag zu deren Finanzierung zu leisten. (Zur Info: Die Kosten zur digitalen Umrüstung belaufen sich pro Leinwand auf 60.000-80.000€. Im Gegensatz zu 35mm-Projektoren liegt momentan die Lebenserwartung eines digitalen Projektors bei etwa 10 Jahren.) Des Weiteren fordert die AG-Gilde eine größere Technikoffenheit jenseits des DCI-Standards, da andernfalls die Gefahr bestehe, dass in die Unabhängigkeit der Programmkinos eigegriffen werde.
Für viele Kinogänger ist die Diskussion um Digitalisierung, Finanzierung und Standards ein großes Neuland. Jedoch werden es die meisten begrüßen, wenn die vielfältige, bunte Kinolandschaft in Deutschland erhalten und gefördert wird. Das Motto der Filmkunstmesse lautete „Kino – Ich will“. Ein Motto, dass alle Cineasten vorbehaltlos unterschreiben. Das Wollen allerdings darf nicht nur von Cineasten und Filmkunsthäusern ausgehen …
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