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Max Pechstein, Flusslandschaft, um 1907, Öl auf Leinwand, 53 x 68 cm, Museum Folkwang, Essen © Pechstein, Hamburg/Tökendorf
Foto: Museum Folkwang

Reine Farbe

30. Oktober 2012

Das Museum Folkwang widmet sich der expressionistischen Malerei und ihrer Vorgeschichte – Ruhrkunst 11/12

Zum Jahresende bündelt das Museum Folkwang in Essen seine Qualitäten. Es arbeitet die Leistungen der künstlerischen Moderne des späten 19. Jahrhunderts heraus und zeigt, wie diese auf die deutschen Expressionisten des frühen 20. Jahrhunderts eingewirkt hat. Mit der Ausstellung „Im Farbenrausch“ knüpft das einstige Folkwang-Museum zudem an seine Geschichte mit der Sammel- und Ausstellungstätigkeit seines Gründers Karl Ernst Osthaus an, der das Museum zunächst in Hagen und ab 1922 in Essen eingerichtet hat. Dort wurden große Teile der Sammlung freilich von den Machthabern des Dritten Reiches als „entartet“ beschlagnahmt und sind später zerstört oder in alle Himmelsrichtungen verstreut wurden.

In der Zusammenführung der eigenen Bestände mit etlichen Leihgaben ist nun eine herausragende Schau entstanden, die sinnliche Erfahrung mit Erkenntnisgewinn durch vergleichendes Schauen ermöglicht. Als Exponenten der Moderne werden die älteren Paul Cézanne, Vincent van Gogh, Paul Gauguin und Edvard Munch sowie die etwas jüngeren „Fauves“ mit Künstlern wie Henri Matisse und Raoul Dufy vorgestellt. Und sie werden den deutschen Expressionisten wie Kirchner, Pechstein und Karl Schmidt-Rottluff, August Macke und Franz Marc vorausgeschickt, die von diesen Künstlern beeinflusst sind und teils mit ihnen im Austausch standen. So hatten Erich Heckel und Emil Nolde Kontakt zu Edvard Munch, der in Deutschland durch mehrere Ausstellungen bekannt war.

Ein entscheidendes Jahr für die Entwicklung der Kunst war 1905, in dem Matisse und Derain den Sommer über gemeinsam in Südfrankreich malten und sich in Dresden die Künstlergruppe „Brücke“ formierte. In ihrer Malerei nahmen die Künstler der „Brücke“ Bezug auf den lockeren Verbund der zeitgleich tätigen französischen „Fauves“, welche in ihrer Heimat zunächst ganz und gar nicht verstanden und daher mit dem Schimpfwort „Die Wilden“ belegt wurden. Beeinflusst von diesen waren auch in München Alexej von Jawlensky, Kandinsky, Gabriele Münter und Marianne von Werefkin, die ihrerseits im Herbst 1908 im bayerischen Murnau zusammen malten. Macke und Marc wiederum lernten sich 1910 am Tegernsee kennen; daraus entstand dann der „Blaue Reiter“.

Munch als Anreger
Die französischen „Fauves“ vereinfachen die Form, indem sie sie als Farbe darstellen. Sie steigern so das Atmosphärische, um das es ihnen wesentlich geht. Natürlich ist der Impressionismus nicht fern, die Auflösung in „Farbflecken“, in denen das Licht buchstäblich reflektiert. Während die Franzosen immer wieder zum heiteren Sommer hin tendieren, folglich mediterrane Küstenlandschaften und Schiffe wiedergeben, neigt der norwegische Einzelgänger Munch, der die Farbe als steten Fluss aufträgt, zur nordischen, dunklen Tristesse. Vincent van Gogh wiederum ist expressiver im Pinselduktus. Er wühlt die Landschaft mit teils flammenden, teils erdigen Farben auf, fängt die Figuren bewegt ein und erfasst Menschen so, dass sich ihre psychische Verfasstheit nach außen kehrt. Ebenfalls in der Jahren um 1890 lässt Paul Cézanne in seinen Landschaften die Farben hin zur Transparenz verfließen und vermittelt Wahrnehmung als feinnervigen Augenblick. Als weiterer Ahnherr der Kunst des 20. Jahrhunderts bringt Paul Gauguin mit seiner Hinwendung zu den ursprünglichen Völkern wieder einen ganz anderen Ton in die Malerei. Im wolkigen Violett der in Essen ausgestellten Bilder erzeugt er eine unfest traumhafte Anmutung. Gemeinsam aber haben diese so verschiedenen Künstler, dass sie mit den Traditionen des Realismus brechen, sich vom Naturalismus lösen und zu einem freien, aber dafür tiefsinnigen Umgang mit der sichtbaren Wirklichkeit gelangen. Die Farbe tritt in den Vordergrund und folgt eigenen Harmonien und Intensitäten folgt. Die Expressionisten greifen nun auf diese Erfahrungen zurück. Zwar konturieren sie die Figuren, überhaupt die Formen breit und fest, legen sie aber flächig im Bild an. Und sie lösen sich von der Lokalfarbigkeit hin zu einer größeren Präsenz und Dominanz der Farben. Dabei ist das Geschehen synthetisch und summarisch erfasst.

In der Ausstellung, die auch Skulpturen einbezieht, gibt es auch Überraschungen. Georges Braque ist mit erstaunlich frei empfundenen Landschafts- und Hafenansichten von Antwerpen vertreten, die nur wenig von seiner kubistischen Organisation ahnen lassen. Und von Matisse ist ein impressionistisches Gemälde von Notre Dame aus dem Jahr 1905 zu sehen; ausgestellt sind außerdem seine Bilder, die er im Sommer diesen Jahres in Collioure gemalt hat. Wie präzise aber die Ausstellung selbst konzipiert ist, zeigt etwa die Hängung über's Eck eines Munch-Gemäldes, das aus Moskau kommt, und eines Gemäldes von Marianne von Werefkin, das von ihrer Stiftung in Ascona entliehen wurde. Zu sehen sind je drei Mädchen bzw. Frauen auf einer Straße, welche sich als breite Fläche bis zum Horizont zieht. Gewiss ist das 1902 entstandene und fünf Jahre ältere Bild von Munch das revolutionärere. Bei Munch verschmelzen die Mädchen geradezu zu einem Farbklang. Das Brückengeländer, an das sie sich lehnen, ist in die Tiefe hin radikal verkürzt. Bei Werefkin hingegen stehen die drei Frauen in strenger Ordnung mit Abstand nebeneinander, die Pfosten am Straßenrand sind jeweils ausformuliert. Munch ist der unerreichte Anreger.

Zu Marianne von Werefkin ist übrigens auch ein Bildnis ausgestellt, von Gabriele Münter gemalt so, wie die Werefkin selbst malt – eines führt zum anderen und deutlich wird dabei noch, wie der deutsche Expressionismus, auch mit seinen Sujets und Genres, im Kontext der europäischen Moderne verwurzelt ist. Und dann sind da die Farben, das Flirrende, Lichtdurchflutete, mithin Schwerelose oder die Intensität und Gewichtigkeit im Kolorit. Und wenn es draußen dunkel und kalt wird, lockt das Sommerliche, Helle in den Neubau von David Chipperfield im Museum Folkwang.

„Im Farbenrausch – Munch, Matisse und die Expressionisten“ | Museum Folkwang, Essen | bis 13.1. | www.museum-folkwang.de

THOMAS HIRSCH

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