„Why do they hate jazz?“ (wörtlich übersetzt: „Warum hassen sie Jazz?“) Ja, warum? Die Frage stammt von einem der versiertesten Jazzgitarristen unserer Tage selbst, Rotem Sivan aus New York. Auf seiner Website ist eine Improvisation mit diesem Titel verlinkt. Seine Musik von der Sorte, die Jazzfans den Glauben an die Musik und Musikfans den Glauben an den Jazz zurück schenken kann. Pat Metheny, mit dem ihn manche vergleichen, wirkte in den 70ern und 80ern ähnlich versöhnend. Sivans Gitarrenspiel ist virtuos, damit ist er nicht allein. Aber wie Metheny einst setzt der (geschätzt) Mittvierziger sein Können leise und dezent ein, sprengt die Atmosphäre nicht, sondern schafft sie.
Laut sind bei Sivan die Träume. „Dream louder“ heißt das im Januar erschienene, mittlerweile achte Album des gebürtigen Israeli, gewidmet seiner Frau, seiner Familie und unseren Träumen und Wünschen. Er hat die Stücke für jeweils unterschiedliche Familienmitglieder oder Freunde geschrieben, daher brechen sie an zwei bis drei Stellen verzerrt und übersteuert aus dem leicht schwebenden Grundsound hervor. Drei der zehn Tracks sind Coverversionen: „Mack the Knife“ (Kurt Weill) aus Brechts „Dreigroschenoper“, „West Virginia Mine Disaster“, ursprünglich eine Appalachen-Folk-Nummer von Jean Ritchie, und „Blackbird“ von Paul McCartney, vom „White Album“ der Beatles.
Weniger ist mehr: Sivan spielt am liebsten in der klassischen, trockenen Dreierbesetzung: Gitarre, Bass, Drums. Der Bass ist so wichtig. Bei Pat Metheny waberte unvergessen Eberhard Weber, bei Sivan ist es der erst 26-jährige Neuseeländer Hamish Smith. Herausragend. Am Schlagzeug sind Miguel Russells Patterns (das Wunderkind ist 21) die Magneten, an welche die Melodie- und Improvisationslinien wie Nägel andocken. Eine ähnliche Formulierung stammt von Maik Brüggemeyer, der so 2002 im Rolling Stone Glenn Kotches Schlagzeugspiel auf Wilcos Großwerk „Yankee Hotel Foxtrot“ beschrieb. Kotche kam vom Jazz zu Wilco, und so hängt alles zusammen.
Am 21. April spielt das Rotem Sivan Trio im Dortmunder Jazzclub Domicil. Das stylische Ambiente und die hervorragende Akustik des Raums sind für die leisen Improvisationen und Zwischentöne wie gemacht. Die ausdauerndsten Skeptiker können sich ja danach gerne mal fragen: „Warum hasse ich Jazz?“ Spoiler: Tust du nicht.
Rotem Sivan Trio | So 21.4. 19 Uhr | Domicil Dortmund | domicil-dortmund.de
Hat Ihnen dieser Beitrag gefallen? Als unabhängiges und kostenloses Medium sind wir auf die Unterstützung unserer Leserinnen und Leser angewiesen. Wenn Sie uns und unsere Arbeit finanziell mit einem freiwilligen Betrag unterstützen möchten, dann erfahren Sie über den nebenstehenden Button mehr.
Frei von Konventionen
Alexander von Schlippenbach in Dortmund – Musik 11/23
Energiegeladene Höhenflüge
Jim & The Shrimps in Dortmund – Musik 03/23
Die Kunst des Improvisierens
Craig Taborn im domicil
Nordic Jazz in Dortmund
Isländische Musikerin Anna Greta in Dortmund
Blues aus Afrika
Bassekou Kouyaté & Ngoni Ba
Aus den Massengräbern der Welt
LesArt mit Pia Klemp und Robert Prosser am 13.11. im Domicil, Dortmund – Literatur 11/19
„Alte Säcke“ in Hochform
Freejazz-Ikonen beleben den Pott – Improvisierte Musik in NRW 10/18
Girls in Airports
Zuhause im Zwischenland – Popkultur in NRW 10/17
Wannings Warm-Up
Dortmunder Domicil startet Summer Sessions mit Hans Wannings Elektro-Set – Musik 08/17
Cobham nicht allein zuhaus
Das Dortmunder Domicil mischt Alt mit Jung – Improvisierte Musik in NRW 02/17
Viele Kulturen und eine Sprache
Die Chamisso-Tage 2016 an der Ruhr – das Besondere 11/16
Charismatisches Duo
In Dortmund blasen Drehorgel mit Bassklarinette – Improvisierte Musik in NRW 01/16
Pessimistische Gewürzmädchen
Maustetytöt im Düsseldorfer Zakk – Musik 11/24
Komm, süßer Tod
„Fauré Requiem“ in der Historischen Stadthalle Wuppertal – Musik 11/24
Konfettiregen statt Trauerflor
Sum41 feiern Jubiläum und Abschied in Dortmund – Musik 11/24
Erste Regel: Kein Arschloch sein
Frank Turner & The Sleeping Souls in Oberhausen – Musik 10/24
Eine ganz eigene Kunstform
Bob Dylan in der Düsseldorfer Mitsubishi Electric Halle – Musik 10/24
Psychedelische Universen
Mother‘s Cake im Matrix Bochum – Musik 10/24
Sich dem Text ausliefern
Bonnie ,Prince‘ Billy in der Essener Lichtburg – Musik 10/24
Improvisationsvergnügen
Das Wolfgang Schmidtke Orchestra in der Immanuelskirche – Musik 09/24
Essen-Werden auf links drehen
Cordovas im JuBB – Musik 09/24
Rock ‘n‘ Roll ohne Schnickschnack
Gene Simmons und Andy Brings in der Turbinenhalle Oberhausen – Musik 08/24
Vielfalt, Frieden und Respekt
3. Ausgabe von Shalom-Musik.Koeln – Musik 07/24
Die Ruhe im Chaos
Emma Ruth Rundle in Bochum und Köln – Musik 07/24
Musikalische Feier
Markus Stockhausen Group im Wuppertaler Skulpturenpark Waldfrieden – Musik 07/24