Detective Nick Burkhardt aus der Mystery-Serie „Grimm" hätte seine brutale Freude an ihr. Zähne fletschen kann sie zwar nicht, doch wenn sich die Riesin in Steven Sondheims Musical „Into the Woods" nähert, dann wackelt schon mal die gesamte Bühne des Theater Oberhausen. Schloss und Dorf hat sie schon niedergetrampelt, bevor Rotkäppchen, Aschenputtel, der Bäcker und Hans sie endlich zur Strecke bringen.
Unter Intendant Peter Carp experimentiert das Theater Oberhausen gern mit weniger konventionellen Formen des Musicals wie Tom Waits' „Woyzeck" oder dem fast schon postmodernen Klassiker „Into the Woods" von 1987, der jetzt mit Hilfe von StudentInnen des Musical-Studiengangs und jungen Musikern der Folkwang Uni in Essen realisiert wurde. Komponist Steven Sondheim verquirlt darin mehrere Märchen der Brüder Grimm zu einem zitathaften Plot, der durch einen Erzähler zusammengehalten wird – bis auch er von den Figuren selbst abserviert wird.
Wenn's trashig wird, ist das Oberhausener Theater in seinem Element: Der Erzähler haust auf der Vorbühne in einer Ecke mit Holzpaneelen an der Wand, altem Fernseher und ausgeleiertem Sessel, auf der Bühne sieht's nach ein Trailerpark aus. Drei miese Wohnwagen, in denen Hans und seine Mutter hausen, deren Kuh keine Milch gibt, der Bäcker samt Frau, die keine Kinder bekommen können, und Aschenputtel, die auf den Ball will. Nur das hochblondierte Rotkäppchen sieht stylish aus. Und weil's allen beschissen geht, versteht man sich leidlich – selbst mit der Hexe hat man sich arrangiert. Doch weil alle mehr wollen, machen sie sich auf in den dunklen Wald der Wünsche, der hier aus acht Stämmen und drei kleinen Hügeln besteht. Die Drehbühne hat mächtig zu tun in Peter Carps Inszenierung. Man begegnet sich, tauscht, kauft sich was ab, haut sich über Ohr – jeder auf der Suche nach dem individuellen Glück.
Rotkäppchen bekommt es mit einem ziemlich scharfen Wolf zu tun. Zwei leicht tuntige Prinzenbrüder sind hinter Aschenputtel und Rapunzel her. Und zwischendrin mischen die wilde Hexe der Karina Schwarz und der geheimnisvolle Mann im grünen Cape (Jürgen Sarkiss, der auch den Erzähler spielt) den Laden kräftig auf. Die Essener StudentInnen machen das überzeugend, allen voran Yvonne Forster als Bäckersfrau, Tim Al-Windawe als Bäcker und Vera Weichel als Rotkäppchen. Mitunter allerdings hapert es bei der schauspielerischen Präsenz, auch am stimmlichen Registerwechsel könnte noch gearbeitet werden.
Das Happy End des ersten Teils geht nach der Pause in Hauen und Stechen über. Die Solidarität nimmt rasant ab, wenn die Riesin Rache für ihren toten Mann fordert. Danach wird gestorben, was das Zeug hält: Der Erzähler, Hans' Mutter, die Bäckersfrau, Rapunzel, alle dahingerafft, bis nur noch die Protagonisten übrig sind. Gerade in diesem zweiten Teil verliert die Inszenierung allerdings erheblich an Spannung. Die emotionalen Brüche der Figuren sind kaum nachvollziehbar, genauso wenig wie der plötzliche Zusammenschluss angesichts des gemeinsamen Feindes. So zieht sich das „Es war einmal..." am Ende doch erheblich.
„Into the Woods" | R: Peter Carp | 3., 11. (18 Uhr), 17., 21., 28.5. 19.30 Uhr | Theater Oberhausen | 0208 85 78 184
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