Bochum, 4. März – Kameradisten nennen sie sich: Drei Mitglieder dieses Berliner Filmkollektivs stellten im Endstation.Kino ihren aktuellen Film Sachamanta vor. Es geht um die politische Bewegung der Kleinbauern in Argentinien, die sich gegen Landraub und Großgrundbesitzer zur Wehr setzen. Wichtiges Mittel, um in dem entlegenen Landstrich miteinander zu kommunizieren, sind selbst verwaltete Bürgerradios. Den Kameradisten, allen voran der Initiatorin des Film-Projekts Viviana Uriona, hat es der David gegen Goliath-Kampf im Hinterland angetan. Mit ihrem klassischen Bewegungsfilm touren sie nun durchs Land, und fanden auch in Bahnhof Langendreer ein interessiertes und diskussionsfreudiges Publikum.
Nach dem informativen Film erläuterten Chris Fischer, Viviana Uriona und Mark Wagner die Hintergründe der Landkonflikte und ihrer Arbeit, die sie ausdrücklich als Gemeinschaftsprojekt verstanden wissen wollen. Seit Anfang des 20. Jahrhunderts waren die Ländereien von Großgrundbesitzern verlassen worden, weil Ackerbau kein lohnendes Geschäft mehr versprach. Übrig blieben diejenigen, die immer schon dort waren: Eine hauptsächlich indigene Bevölkerung, die als Kleinbauern und Selbstversorger ihre Scholle bestellten. Der Umbruch kam in den 1990er Jahren, als durch größere Nachfrage von Tierfutter und Treibstoff die Preise rasant anstiegen und wertloser Boden wieder lukrativ wurde. Großkonzerne und Großgrundbesitzer kehren zurück und beanspruchen seitdem am Rande der Legalität ganze Landstriche als Eigentum. Oft sind die Eigentumsverhältnisse ungeklärt, dennoch werden die Einwohner häufig mit brachialen Methoden vertrieben. In den Konflikten geht es um über 3 Mio. Hektar Land im Norden Argentinien. Insgesamt 20.000 Familien organisieren sich mittlerweile in verschiedenen politischen Bewegungen, um dem Einhalt zu gebieten. Mit dem Start von kleinen Bürgerradios seit dem Jahr 2000 scheint eine große Welle der Selbstermächtigung und Emanzipation ins Rollen gekommen zu sein. Hier informiert man sich gegenseitig über den Kampf und Alltägliches: Eine Ziege ist verloren gegangen. Der Arzt kommt. Ein Treffen findet statt. Seitdem die freien Radios auf Sendung sind, hat sich nicht nur das Selbstbewusstsein der Bauern verbessert, sondern auch ihre Wahrnehmung in der Öffentlichkeit. Nun weiß jeder, wer sie sind und dass sie für ihre Rechte eintreten, während die großen Medien sie zuvor als aufwieglerische, dumme Bauern und Terroristen präsentierte.
Eigentlich wollte Viviana Uriona für ihre Doktorarbeit recherchieren, in der es um Freie Radios und soziale Bewegungen geht. Eine Filmkamera hatte sie noch nie in der Hand gehabt, als sie der spontanen Einladung eines Radiosenders folgte und sofort begeistert von dem Projekt mit der flachen Hierarchie war. Nach einigem Hin und Her besorgte man sich eine Kamera und jemanden, der einige Einführungen zur Technik geben konnte. Im Laufe der Drehzeit haben dann auch die Protagonisten angefangen, selbst Fragen zu formulieren und die Kamera zu bedienen.
Ende 2011 sind mehrere Aktivisten ermordet worden, und spätestens mit dieser Eskalation des Konflikts entstand auch ein nationales Medieninteresse. Viviana Uriona ist davon überzeugt, dass die Arbeit in den freien Radios die Medienkompetenz der Bauern so gestärkt hat, dass sie nun auch in der Lage sind, an anderen Orten eine gute PR-Arbeit auf die Beine zu stellen. Der Protest ist auch in der Hauptstadt angekommen, man solidarisiert sich. Und die Kameradisten haben ihren Film wieder zurück gebracht in die Dörfer und arbeiten mittlerweile an einer Fortsetzung. Im Sinne ihres partizipatorischen Ansatzes bitten sie ausdrücklich um Rückmeldung zum Film über ihre Webseite. Und wer Lust hat, soll auch bitte selbst eine Filmveranstaltung organisieren: „Jedes Gemeindezentrum, jeder Seminarraum, jedes Klassenzimmer und jeder Jugendclub kann sich in ein kleines Programmkino verwandeln.“
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