trailer: Sandra, Du stehst seit über zehn Jahren auf den Lese- und Poetry Slam-Bühnen. Wie schwer ist es in dieser Region, sich in dem Bereich zu etablieren?
Sandra Da Vina: Es gibt viele Möglichkeiten, sich auszuprobieren. Was mir etwa den Weg bereitete, das waren die Poetry Slam-Bühnen. Es gibt viele großartige Formate im Ruhrgebiet, von denen ich mittlerweile ein Teil geworden bin. Als ich zu schreiben anfing, war das für mich ein wichtiger Punkt: Da habe ich mich ausprobiert – obwohl ich ziemliche Angst hatte, Texte vor einem Publikum vorzutragen. Die Szene ist zudem wunderbar vernetzt. Ich habe selbst schon einige Workshops an Schulen im Ruhrgebiet gegeben. Den Schüler:innen habe ich auch vermittelt, dass sie sich mit ihren Texten auf die Bühne raustrauen sollten. Und sie können Künstler:innen kennenlernen. Denn das ist wichtig: Wer Kunst macht, sucht immer Verbindungen. Diese Netzwerke sind ein großes Thema im Ruhrgebiet.
Wie groß war die Aufbruchstimmung im Poetry Slam, als Du 2008 ins Ruhrgebiet kamst?
Ich bin erst 2012 mit der Poetry Slam-Szene im Ruhrgebiet in Berührung gekommen und habe schnell bemerkt, dass es hier Künstler:innen gibt, die krasse Auftritte hinlegen. Eine witzige Anekdote: Als ich anfing, habe ich wahrgenommen, dass es diesen Sebastian 23 gibt, der natürlich eine Leuchtturmfigur für den Poetry Slam ist. Im ersten Jahr hatte ich ziemliche Angst davor,Ihn zu treffen, weil ich befürchtete, er könnte das nicht mögen, was ich mache. Aber als Fun Fact: Ich fand schließlich heraus, dass er der netteste Mensch der Welt ist. Für die Literatur- und Poetry Slam- Szene im Ruhrgebiet hat er viel getan. Mittlerweile haben wir mit dem "Wirrvarieté" eine gemeinsame monatliche Show in Bochum
Wie steht es aktuell um diese Szene?
Ein Teil der Wahrheit ist, dass es um die Kulturszene gerade insgesamt schwierig steht. Wir haben noch lange nicht die Situation, wie es vor der Pandemie war.Aber es gibt viele Leute, die Bock haben auf Bühnenauftritte und ich sehe immer wieder neue Gesichter.Man merkt unter den Menschen das Bedürfnis, sich mitzuteilen und sich zu verbinden. Denn seit der Pandemie haben wir alle Lust, wieder über Kunst in Kontakt zu kommen. Aber leider drückt sich das noch nicht in den Zuschauer:innenzahlen aus. Da kann ich auch nur mutmaßen, woran das liegt. Klar, die Pandemie ist noch nicht vorbei und die Weltlage ist sehr angespannt.Wir hoffen, dass es bald wieder spürbar bergauf geht.
Mittlerweile moderierst Du auch Slams und Lesungen. Vor der Pandemie erfreuten sich Autor:innen wie Sven Regener über ein großes Publikum. Woher rührt diese Begeisterung?
Es gab immer schon eine Begeisterung für solche Formate und für Geschichten. Es ist dagegen eher etwas Intimes und Privates, zuhause ein Buch zu lesen. Dabei ist man sehr für sich mit der eigenen Fantasie. Wenn man aber Literatur live erlebt, wird es mit wahnsinnig vielen Sinneseindrücken angereichert. Man lernt die Personen kennen, die hinter den Geschichten stehen. Man erlebt Abende, die einzigartig sind. Genau das liebe ich an Live-Veranstaltungen: alles verdichtet sich auf den Moment. Diese gesamte oral-performative Achse trägt dazu bei, dass es für das Publikum spannend wird.
Welche Bedeutung haben die Autor:innenenzunft und die Kreativbranche für die Zukunft der Region?
Kunst ist ein gutes Mittel, um die Themen sichtbar zu machen, die viele Generationen hier bewegen. Gerade die deutlich Jüngeren sind oft in der Kreativbranche tätig. Sie bilden dabei ab, was das Leben hier ausmacht. Es gehört auch zu den Aufgaben der Kunst, die Gesellschaft abzubilden, Missstände aufzuzeigen oder einfach zu unterhalten. All das ist wichtig, um im Austausch zu bleiben. Das braucht jede Region, auch das Ruhrgebiet. Auch das kennzeichnet den Strukturwandel. Was ich dabei auch feststelle: Gerade die junge Generation macht hier einfach ihr Ding, ohne dass es dabei um Industriekultur geht. Es verschiebt sich so ein bisschen: Die Leute, die heute auf der Bühne stehen, haben die Vergangenheit der Region nicht mehr so vor Augen.
Um welche Themen geht es stattdessen?
Vieles ist politisch. Es geht um Feminismus, Rassismus oder – wie zuletzt in Annika Büsings Roman „Nordstadt“ – auch um Armutserfahrungen. Oder auch die Fragen rund um den Klimawandel – alles, was die jüngere Generation schon seit Jahren auf der Agenda hat. Diese Motive finden sich in der Kunst wieder stärker und das prägt auch den gesellschaftlichen Diskurs.
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