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„Der Gott des Gemetzels“
Foto: Presse

Spaß gegen Rezalismus

26. Januar 2012

„Der Gott des Gemetzels“ in Dortmund – Theater Ruhr 02/12

Als er wieder auf den Olymp reiste, bauten ihm die Menschen einen Tempel aus Klopapier und Plüschtieren, auf den steinernen Stufen hinauf ins allerheiligste WC wollten sie fortan ihre Dispute zivilisiert austragen, in aller Öffentlichkeit, in Ruhe, mit Bedacht. Doch einer beobachtete sie von oben mit Argwohn: der Gott des Gemetzels.

Der Dauerbrenner von Yasmina Reza hat das Dortmunder Theater erreicht, in einer Inszenierung von Marcus Lobbes, der aus der Schwarzen Komödie einen schrillen Abend macht, indem er im griechisch angehauchten Bühnenbild nebst passenden Kostümen von Christoph Ernst Stück, Zuschauer und Götter durch den Fleischwolf dreht. Was früher einmal als Dekonstruktion gelten mochte, wird hier süffisant zur Dekontamination eines bisher meist als kulinarische Gesellschaftssatire mit viel Requisitenbruch inszenierten Textes.

Bei Lobbes verschwimmen zwischen Homoerotik und Zarinnentum die meisten Konturen der Handlung; wer den „Gott des Gemetzels“ noch nie im Theater gesehen hat, wird seine Schwierigkeiten haben, die eigentlich vorgesehene Dramaturgie nachzuvollziehen. Handygespräche mit Dritten, weit entfernte Menschen, mutieren zu direkten Dialogen zwischen den Protagonisten, deren Sinn, Kausalität und Inhalt meist unverständlich bleibt; und was zum Henker soll das Gerede über Pharmaprodukte? Die eigentliche Auseinandersetzung zwischen zwei Paaren, deren Söhne sich geprügelt haben und einer dummerweise die Unversehrtheit zweier Zähne einbüßt, versinkt in einem Meer von Sinnlosigkeit und einem Meer von Menschen, wenn man das Publikum, das sich nicht in die Dunkelheit des Zuschauerraums zurückziehen darf, dazuzählt. Das wird sich später mit zahlreichen Buh-Rufen bei der Regie bedanken, ein Kompliment, wenn man die Inszenierung nach ein wenig Bedenkzeit als wohltuende Dekontamination zeitgenössischer Theatertexte begreift. Am Ende liegen alle erschöpft auf den Stufen des leicht ramponierten Tempels. Man könnte aus den Wolken ein leises Lachen hören, dem Gott des Gemetzels hätte diese Boshaftigkeit sicher gefallen, der hoch dekorierten Autorin vielleicht nicht, obwohl – eigentlich war ihre Regieanweisung „pas du réalisme“ die Ursuppe.

„Der Gott des Gemetzels“ I Sa 4.2., 19.30 Uhr I Theater Dortmund I 0231 502 72 22

PETER ORTMANN

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