Das Stück „Wer hat Angst vor Virginia Woolf?“ von Edward Albee ist längst zum Klassiker geworden. Die Eheleute Martha und George blicken auf ein vertanes Leben zurück. Sie haben keine Kinder bekommen können und den beruflichen Aufstieg verpasst. In ihren Augen sind sie gescheitert. Alles was ihnen bleibt, ist die gemeinsame Illusion eines bereits erwachsenen Sohnes. Auf lustvoll grausame Art haben sie sich zur Aufgabe gemacht, den jeweils anderen zu quälen, ihm seine Schwächen vor Augen zu halten. Im Laufe des gezeigten Abends ziehen sie das jung verheiratete und scheinbar glückliche Paar Honey und Nick in dieses Psychospiel hinein.
Im Theater Rottstr5 wird die Thematik des Stückes gelungen ins Bühnenbild übersetzt (Bühne: Anne Brüssel). Nicht das biedere und bürgerliche Wohnzimmer zeigt sich dem Zuschauer, sondern eine Landschaft aus Matratzen und Kissenhügeln, über die ein Teppich ausgelegt wurde. Der „Dreck“ der Ehe, die Lügen, auf denen sie beruht, werden schon so lange im wahrsten Sinne des Wortes unter den Teppich gekehrt, dass Martha und George selbst kaum noch darauf laufen können. Beständig kommen sie ins Straucheln und fallen. Immer mehr von den vergangenen Geschichten kommen zum Vorschein, bis am Ende der ganze Teppichboden aufgerollt und der Unrat offenbar wird. Sie haben sich selbst den Boden unter den Füßen weggezogen. Einzig Nick scheint noch bei Sinnen, als George Martha den letzten Todesstoß gibt und alle Regeln bricht. Er lässt den gemeinsam erfundenen Sohn sterben. Die so entwaffnete Martha muss zugeben: Nun hat auch sie Angst vor Virginia Woolf, dem bösen Wolf; Angst vor einem Leben ohne Illusion also; Angst, sich der Realität stellen zu müssen.
MichaelLippold gibt auch durch das Tempo der Sprechakte diesem Stück einen neuen Schliff. Er schafft es, dass nicht nur Marthas und Georges Beziehung als die absurde gezeigt wird, auch Nicks und Honeys zunächst „gewöhnlich“ anmutende Ehe entpuppt sich als grausam. Auch sie haben sich bereits eine Scheinwelt aufgebaut, die an diesem Abend zerbricht. Die Inszenierung lässt so beide Formen des Zusammenlebens scheitern, denn letztlich weiß keiner mehr, welche Existenzen auf den größeren Lügen und Grausamkeiten beruhen.
„Wer hat Angst vor Virginia Woolf?“I Fr 11.5., 19.30 Uhr I Rottstr5 Bochum I 0163 761 50 71
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