trailer: Keine Bewerbungen um Fördergelder, keine Antwort an die AfD. Ist die freie Szene faul?
Hans Dreher (HD): Wir als Betreiber des Rottstr 5 Theaters haben diese Anfrage bekommen. Zuerst haben wir in Erfahrung gebracht, ob eine Antwort zwingend sei. Denn die Fragen waren dilettantisch gestellt. Es ist auch kein Geheimnis, dass uns der Fragende als Phänomen so nicht gefiel und wir ihm keine guten Absichten zugetraut haben.
Du meinst Wolf-Dieter Liese von der AfD-Fraktion des Bochumer Stadtrats und Mitglied des Kulturausschusses.
HD: Ja.Wir können ihn gerne beim Namen nennen: Herr Liese. Eine Nicht-Beantwortung eines Fragenkatalogs damit gleichzusetzen, dass wir keine freien Mittel beantragen, ist zumindest in unserem Fall massiver Schwachsinn. Das Überleben dieses Theaters ist absolut davon abhängig, dass wir freie Projektmittel beantragen. Denn die sogenannten festen oder institutionellen Mittel, die wir bekommen, reichen von vorne bis hinten nicht für unseren Betrieb.
Oliver Paolo Thomas (OT): Man spricht ja beim Stadttheater von einer Eigenfinanzierungsquote. Das heißt, wie viel das Theater selber zur Finanzierung reinholt. Dazu zählen auch Projektmittel, also alles, was jenseits der festen Förderung durch die jeweiligen Träger dazukommt – sei es Kommune, sei es Land. Und da liegt der bundesweite Durchschnitt bei 18 Prozent. So viel schaffen die Stadttheater, zu den Gesamtkosten beizutragen. Bei uns ist es genau umgekehrt: Etwa 80 Prozent unserer Mittel holen wir selber jedes Jahr neu rein. Das sind Projektmittel vor allem auf Landesebene. Darauf bewerben wir uns jedes Jahr.
Wie fiel die Entscheidung aus?
OT: In der Mail, die wir vom Landesbüro für freie darstellende Künste bekommen haben, hatten wir den Eindruck, dass sie nahezu überrannt wurden mit Anträgen.
HD: Knapp 240 Anträge gingen ein. Und davon konnte etwa ein Viertel berücksichtigt werden. Es lässt sich nicht aufdröseln, wie viele davon aus Bochum kamen. Aber wenn man weiß, aus dem Land kamen 200 plus x Anträge, dann weiß man rein statistisch, dass ein paar auf Bochum gefallen sein müssen. Unserer wurde etwa abgelehnt.
Das widerspricht Herrn Lieses These von einer „automatisierten Vergabe von Mitteln“.
HD: Das ist – gelinde gesagt – Bullshit.
OT: Automatisiert ist da gar nichts. Nur feste Förderungen können automatisiert sein. Das klingt nach völliger Unkenntnis, wie das funktioniert. Was der Begriff bedeuten soll, kann ich nur vermuten. Wahrscheinlich spielt er auf die institutionelle Förderung an. Das ist der einzige Weg, an Gelder zu kommen, die fest im Wirtschaftsplan der Theater sind.Dieses Geld kommt jedes Jahr herein. Das wäre am ehesten etwas, wo der Begriff „automatisiert“ irgendeinen Sinn ergeben würde.
Freie Kulturträger beklagen ein bürokratisches Fördersystem. Wie aufwendig sind die Bewerbungen?
HD: Als Rottstr 5 Theater haben wir eine gute Quote, diese Projektmittel zu bekommen. Jeder zweite Antrag, den wir stellen, geht irgendwie durch. Rein bürokratisch heißt das, dass wir jeden zweiten Antrag umsonst stellen. Und das ist sauviel Arbeit. Aber es ist Arbeit, die wir uns nicht erlauben können, nicht zu machen. Ohne diese freien Fördermittel gäbe es die Rottstr5 nicht.
OT: Was nicht heißt, dass es aus unserer Perspektive ein guter Zustand ist. Halbwegs gut wäre es, wenn unser Theater Planungssicherheit hätte. Dass man die Fixkosten für Miete und Personal sicher hat, um auf dieser Basis die einzelnen Produktionen planen zu können. In anderen Bundesländern geht man tendenziell weg von diesem Projektförderprinzip. Sich wie ein kleiner Wanderzirkus von Projekt zu Projekt zu hangeln, ist überhaupt nicht nachhaltig. Auf diese Weise entsteht nichts Dauerhaftes, kein Ort, an dem etwas wachsen und sich entfalten kann. NRW hinkt da tatsächlich noch etwas hinterher. Viele Akteure auf politischer Seite wissen um dieses Problem. Es gibt nahezu keine Möglichkeiten, ein neues Theater zu gründen. Als Rottstr 5 Theater haben wir diese Erfahrung gemacht und sind gleichzeitig eines der letzten überlebenden Kultur-Start-Ups im Ruhrgebiet.
Wie riskant sind Programmplanung oder gar Neugründung, wenn es keine dauerhafte Förderung gibt?
HD: Wir können nur von unserer Anfangszeit berichten: Jeder hat seine privaten Ersparnisse reingesteckt und natürlich massiv bei Gagen verzichtet. Und jeder hat nebenbei gearbeitet.
OT: Sieben Jahre stand ich im Intershop hinter dem Tresen. Dort habe ich Donnerstags bis acht Uhr morgens gearbeitet. Und um elf Uhr Vormittags habe ich dann hier als Regisseur geprobt. Wir haben uns aber nie beklagt. Wir dachten, wir machen das einfach, weil wir daran glauben. Und Geld und politische Wertschätzung werden dann schon kommen. Die kamen auch, aber bis heute nicht in dem Maße, dass es uns wirklich hilft.
In der lokalen Berichterstattung über den AfD-Antrag ist von verschenktem Geld die Rede. Für Wolf-Dieter Liese ist danach „die freie Kulturszene eines der Lieblingskinder der Bochumer Kulturförderung“.
HD: Herr Liese hat Unrecht. Das Lieblingskind Bochums ist natürlich das Schauspielhaus. Und so gehört es sich auch, weil es das Stadttheater ist. Die Stadt unterstützt einige Institutionen der freien Szene, weil es interessante Einrichtungen sind, weil sie ein cooles Programm schmeißen und mit den gezeigten Stoffen die so oft gepriesene gesellschaftliche Fragestellung bedienen. Das ist auch unsere Aufgabe. Dass die freie Szene jedoch in irgend einer Weise einen Schutzstatus genießt, ist hausgemachter Schwachsinn.
Seht Ihr dahinter eine kulturpolitische Einflussnahme?
HD: Das Theater ist der natürliche Feind einer populistischen Partei. Wir spielen hier etwa Stücke aus der Antike, die schon vor über 2000 Jahren den Unsinn widerlegt haben, der aus so manchem Parteimund kommt. Stücke wie die von Sophokles oder Euripides betonen die Wichtigkeit, einen Flüchtling zu beherbergen oder dass Ausgrenzung bedenklich ist. All diese Dinge, mit denen wir in den Tageszeitungen konfrontiert werden.
OT: Für einen solchen neoliberalen Geist war Kultur schon immer ein 'Lieblingskind'. Da ist einfach zu kürzen. Deswegen ist die freie Szene womöglich ein Dorn im Auge von Herrn Liese, weil man dort einfacher den Geldhahn zudrehen kann. Wenn man anfängt, beim Schauspielhaus zu kürzen, gehen alle auf die Barrikaden. Bei einer Vielzahl kleiner Kulturstätten ist das dagegen nicht so augenfällig. Das ist wahrscheinlich der Gedanke dahinter.
Einschüchterungsversuche der AfD gegenüber Kultur und freier Szene nehmen zu. Als Antwort darauf gab es zuletzt die „Erklärung der Vielen“. Wie gehen KünstlerInnen damit um?
HD: Die Geschichten, die wir hier erzählen, sind ja schon die Widerlegung von Verdummung und Populismus. Wer zu uns kommt, erlebt Stoffe, die automatisch gegen den Antidemokratismus sind. Es ist wichtig, dass wir unsere Theaterarbeit fortsetzen und diese Geschichte erzählen. Damit sind wir ein lebendiges Archiv für den Widerstand.
OT: Wenn es vom Sachverstand auf diesem Niveau bleibt, dann mache ich mir keine Sorgen. Im schlimmsten Fall ist es was, wo man Widerstand leisten kann und muss. Nicht nur als einzelne Institution, sondern zusammen als Szene. Da sind wir in Bochum gut aufgestellt. Vor der AfD habe ich keine Angst. Die Rottstr. war schon immer ein Ort,an dem es nicht nur eine Meinung, sondern vor allem eine Haltung gibt. Herr Liese kann gerne vorbeikommen.
...mit dem Fragebogen?
HD: (lacht) Auch mit dem Fragebogen.
OT: Wir können es gerne mal durchdiskutieren.
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