Für die Weisheit des Alters braucht es nur die Leere, für die Wahrheit nur die Aufrichtigkeit. Irgendwo im Nirgendwo sitzt ein junger Mann vor einem Gefängnis und wartet auf die Einsicht in sein Vergehen. Was hat er getan? Er hat seinen Vater erschlagen, den er mit seiner Schwester Nadia (Kalieaswari Srinivasan) im Bett erwischt hat, der Schwester, die er selbst liebt und begehrt. Normalerweise heißt das in seinem Land verrecken in einem Drecksloch, doch die Fabel, die die britische Theater-Ikone Peter Brook mit zu den Ruhrfestspielen gebracht hat, erzählt eine andere Geschichte.
Den Rahmen bildet eine Reisende, die zu Anfang und am Ende die Stätte der Handlung besucht und vom indigenen Umgang mit Schuld fasziniert scheint. Vatermord, Inzest – all die Vergehen scheinen angesichts der Ursachen Hass und Eifersucht an Bedeutung zu verlieren. Ursachenforschung bis in die letzten Winkel und die Anerkennung der ausgleichenden Mechanismen, das scheinen die Beweggründe für Mavusos Onkel Ezekiel (Hervé Goffings) zu sein, den jungen Mann (Omar Silva) aus der Gefängniszelle in die Wüste zu bringen – sehr zum Leidwesen der Gefängnisaufseher und Dorfbewohner. Dort richtet sich der Mörder mit ein paar Utensilien ein, soll sich dabei selbst richten, soll heißen wieder ausrichten. Er kann in die Freiheit zurück, wenn er selbst den Zeitpunkt erkennt. Und so bleibt er, weist die schwangere Nadia zurück, trotzt den Dörflern, selbst als das Gefängnis längst eine Ruine ist bleibt er, weil der Zeitpunkt noch nicht stimmig ist. Wieso, weshalb, warum? Ohne Deutung lässt uns Brook allein, doch die Gedanken wandern tief nach diesem genialen Abend ins unentdeckte Land.
„The Prisoner“ | R: Peter Brook | 9. - 12.5. | Ruhrfestspielhaus Recklinghausen | 02361 91 80
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