Theater ist nicht nur das, was auf der Bühne passiert. Das Theater ist ein Versammlungsort, eine soziale Institution, die nicht zufällig ihre Wurzeln im gleichen, griechischen Boden hat wie die Demokratie. Das sind Binsenweisheiten, natürlich, aber die Frage ist doch: Wie kann Theater dem heute gerecht werden? Wie muss von der Bühne gesprochen werden, in Zeiten von Migration und babylonischem Nebeneinander der Sprachen? Gintersdorfer und Klaßen geben darauf eine mögliche Antwort, mit „Die Botschafter", dem Eröffnungsstück des diesjährigen Impulse-Festivals.
Es handelt im Kern von zwei deutschen Diplomaten im Chaos Westafrikas. Aber auch von egomanischen Diktatoren, eigenen Erfahrungen der Schauspieler, zum Beispiel auf der Geburtstagsfeier von Warlord Charles Taylor, und dem Streit der Akteure über ihr eigenes Stück. Die Schauspieler des „Deutsch-afrikanischen Singspiels", so der Untertitel, kommen von zwei Kontinenten, sprechen zwei verschiedene Sprachen und zwei gemeinsame: Musik und Tanz. Die Geschichte erzählen sie in allen vier: Wenn der ivorische Tänzer Gotta Depri (2004 übrigens zum besten Jung-Choreographen der Elfenbeinküste gekürt) auf Französisch spricht, folgt die Übersetzung gesungen auf Deutsch. Und umgekehrt und manchmal gleichzeitig und parallel dazu noch Tanz und Musik. Ja, das ist anstrengend. Aber auch eine intelligente, zeiteffiziente Strategie, Mehrsprachigkeit in Szene zu setzen. Es ist wie mit den meisten Herausforderungen, die Migration und Multi-Kulti an uns stellen: Nach einer gewissen Gewöhnungszeit verfliegt die Anstrengung. Eric Parfait Francis Taregue teilt sich in seiner Rolle als Staatschef von Sierra Leone mittels Bruchstücken englischer Sprache mit, etwa so, wie man auf Reisen kommuniziert: Simpel bis ins falsche, dafür auf den Punkt und verständlich: „No Democracy!" Und alle wissen, aus welchem Holz Valentine Strasser, seinerzeit der jüngste Staatschef der Welt, gestrickt ist. Ja, auf dieser Bühne herrscht babylonische Sprachverwirrung. Aber das macht nichts, man versteht sich.
Etwas too much, trotzdem großartig
Überhaupt, die herrlich ironische Darstellung der Diktatoren ist zweifellos der Höhepunkt des Stücks: Charles Taylor, Warlord aus Liberia, tanzt im teuflisch gut aussehenden Anzug (natürlich rot) mit der Reporterin, irgendwann stimmt das ganze Ensemble mit ein und singt: „He killed my ma, he killed my pa, but I will, vote for him." Mit diesem Slogan warb Taylor in den 90ern tatsächlich um Stimmen in Liberia – erfolgreich. Gefühlte Ewigkeiten hören wir das bestialische Lied, von den Künstlern wie eine harmlos-heitere Zirkusnummer inszeniert; fast so skurril wie die Wirklichkeit. Es ist wirklich großartig, was hier gelingt: Die Schlächter Westafrikas werden der Lächerlichkeit preisgegeben, ohne ihnen die Zähne zu ziehen.
Es sind diese Sequenzen, die „Die Botschafter" zu einem unheimlich spannenden Stück machen. In der Gesamtschau hätte es aber auch etwas übersichtlicher seien können: die schlaue, aber doch anstrengende Umsetzung der Mehrsprachigkeit, Verfremdung durch kurios unpassende Kostüme, teils ungenießbar dissonante Musikpassagen und der ständige Wechsel zwischen Erzählen, Gespräch unter den Künstlern, Gespräch mit dem Publikum – das ist alles etwas too much.
Nun hat sich das Impulse-Festival aber für dieses Jahr auf die Fahnen geschrieben, neue Wege austesten zu wollen, auch ins Ungewisse. Dieses Versprechen wurde mit dem Eröffnungsstück definitiv eingelöst. Darum ist der Besuch von „Die Botschafter", auch wenn einem nach über anderthalb Stunden „Singspiel" der Schädel dröhnt, dringend zu empfehlen.
Die Botschafter | R: Monika Gintersdorfer & Knut Klaßen | Mo 20.6. & Di 21.6. je 19.30 in der FFT Juta Düsseldorf | www.festivalimpulse.de
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