Real pretty könnte man sagen, all is pretty hätte Andy sicher gedacht. Real pretty war zumindest auf der Bühne als Neonschrift im Berliner Hau zu sehen. Doch nix is pretty.Ariel Efraim Ashbel, der israelische Performancestar zeigte dort seine Science-Fiction-Opera „The Empire Strikes Back: Kingdom of the Synthetic“ von 2015. Dunkles Bühnenbild, archaische Szenen. Zitate mannigfacher Utopien. Selbst den Kubrick‘schen Monolithen: „Mein Gott, es ist voller Sterne“ war embedded. Die Zukunft wird scheiße – aber wenigstens nicht digital, oder doch alles für‘n Affenarsch. Folgerichtig und natürlich absolut correct ist Ariel Efraim Ashbel an friends (viele friends) beim Impulse Theater Festival 2016 dabei.
Der inzwischen wieder jährlich stattfindende Freie-Theater-Event in NRW leiht sich Brian Enos Schlusssatz aus seinem Berliner Volksbühne-Vortrag (siehe YouTube) von Anfang Februar, ohne zu reflektieren, dass es bei „Start cooking … Recipe will follow“ auch um einen politischen Beitrag zu Yanis Varoufakis (a.k.a. „der griechische Ex-Finanzminister“) neue „Bewegung für ein demokratisches Europa 2025" (DiEM25) handelte. Aber schön zu sehen, wie schnell so populistische Metaphern gemanaged werden. Doch schauen wir ohne Varoufakis und Eno nicht nur nach Europa, schauen wir uns die Welt an und stellen sachlich fest, vom spirituellen Zeitalter des Wassermanns ist immer noch nichts zu spüren, ganz im Gegenteil. Unsere Kriege rücken näher, sind schon in den deutschen Metropolen angekommen. Und genau das untersuchen beispielweise auch Gintersdorfer/Klaßen in der Impulse-Eröffnungsproduktion „Die Botschafter“. Sie fragen sich da, wie koloniale Strukturen bis heute nachwirken, und da geht es nicht um migrante Bevölkerungsanteile. Vielleicht wird unsere Freiheit ja nicht mehr am Hindukusch verteidigt, sondern eher in Ostmakedonien am Fluss Evros. Dort lebten einst die rauf- und trinkwütigen Thraker, heute nennen die sich Frontex-Soldaten, und dieser Fluss umspielt nur noch geschickt den Natostacheldraht. Rimini Protokoll-Regisseur Daniel Wetzelhat dem Rumoren in Europa eine spielerische Arbeit entgegengesetzt: In der interaktiven Musik-Performance „Evros Walk Water“ (nach John Cages „Water Walk“) agieren die Zuschauenden als die in Griechenland gestrandeten Jugendlichen. Unser gesamtes christliches Abendland (und das ist bald kein Pleonasmus mehr) steht auf dem Prüfstand und selbst die innere Bedrohung wächst.
Vielleicht wäre die Lösung eine Bedrohung von ganz weit draußen. Das Nature Theater of Oklahoma will in seinem Live-Filmprojekt „Germany Year 2071“ ein Deutschland zeigen,in dem Revolutionen kommen und gehen, Außerirdische erst willkommen geheißen und dann verwurstet werden (US-Amerikaner sind eben einfallsreich!). Für die New Yorker wird dabei die Kamera zum Mittel, alle Kölner ZuschauerInnen und Passanten konsequent mit einzubeziehen, vielleicht auch den riesigen Marshmallowman aus der Karnevalsnachfeier. Der fertige Film, als eines der drei internationalen Auftragswerke, wird dann bei Impulse 2017 uraufgeführt. All is pretty.
Impulse Theater Festival 2016 | 15.-25.6. | Düsseldorf, Köln, Mülheim a.d. Ruhr | www.festivalimpulse.de
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