Nach Krachern wie „Lulu – Eine Mörderballade“ verabschiedet sich das Theater Oberhausen mit einem ruhigen Stück aus der Premieren-Zeit: „Rauch“ spielt in den sterilen Fluren und Zimmern eines Hotels, in irgendeiner dieser Urlaubs-Diktaturen. Und der Mob begehrt auf, Flughafen und Hotel werden abgeriegelt, aus der Mitte der Krawalle steigt Rauch auf. Laura (Elisabeth Kopp), die Kippen qualmende Ruine einer Femme Fatale schaut sich das von der Lobby aus an. Sie ist hier gefangen mit ihrem Mann Jaume und einem anderen Pärchen, Alex und Eva. Was folgt ist eine All-Inclusive-Robinsonade, vorangetrieben von den Intrigen der gelangweilten Schriftsteller-Frau Laura: Sie verführt Evas Mann Alex (Peter Waros) nach einem Treffen in der Hotel-Lobby. Oder behauptet sie es nur? Wir wissen es nicht. Eva (Keja Klaasje Kwestro) hat sich sogar rausgewagt, zu den Aufständischen, raus ins Abenteuer, noch ein letztes Mal bevor die Adoption ihr langweiliges Leben im Büro einer Lokalzeitung endgültig besiegelt. Es brodelt unter der Oberfläche, und eingeschlossen steigt der Druck noch stärker. Am Ende ist doch alles halb so wild, bitte noch einmal unaufrichtig lächeln für ein Urlaubsfoto.
Es ist ein raffiniertes Stück, konventionell erzählt, aber mit genau dem richtigen Timing, inszeniert ohne Experimente, dafür bildstark: Der feurige Rauch hinter der großen Fensterfront verbreitet Weltuntergangsstimmung, doch die Lobby strahlt glücklich von der leicht schummrigen Hotelbeleuchtung. Was ist so ein Hotel auch für eine seltsame Zwischenwelt: Ein Nicht-Ort, ein Limbus mit Minibar in der bedrohlichen Fremde – aber mit Fitnessraum! „In diesem schummrigen Licht wirkt alles so unreal“, philsophiert Jaume schlaf- und whiskeytrunken. Der Schriftsteller schreibt nicht, hängt bis tief in die Nacht in der Lobby herum, und wird von Aufständischen geweckt. Einer von Ihnen, erzählt er von da an immerfort, habe versucht, sich den Schädel an der Glasscheibe zu zerschlagen: „Als würde bei CNN jemand aus dem Fernseher rauskommen."
Die herablassende Herrenmenschen-Mentalität des weißen Mannes wird von Schauspieler Torsten Bauer prächtig, mit der nötigen Portion Arroganz, auf die Bühne gebracht. Es bietet sich ja auch an bei dieser herrlich ironischen Figur: Jaume ist Korrespondent in jenem Land, hat hier seit Jahren ein Haus. Draußen toben die größten Unruhen seit Jahren, er hat sich mit Frau, Schnaps und Schreibgerät im Hotel eingeschlossen, und weiß nicht, worüber er schreiben soll. Es bleibt aber eine Randnotiz, keine große politische Kritik, sondern detailverliebte Charakterzeichnung. „Rauch“ ist im Kern ein Stück über Zwischenmenschliches, um Ehrlichkeit, Unehrlichkeit und Verdrängung.
Deshalb tut es der Inszenierung auch gut, dass hier niemand den Drang verspürt, die weit aufklaffende Leerstelle – welches Land? Welche Revolution? – mit irgendeinem tagesaktuellen Politikbezug zu verspachteln. Das Stück lebt schließlich davon, dass es, passend zum schön schlichten Titel, lose in der Luft schwebt, ohne zeitliche, ohne räumliche Verortung, irgendwie nicht ganz Teil der Welt. Das Stück atmet gewissermaßen den Geist der leeren Hotelflure. Es ist Fluch und Segen zugleich: Während des Aufenthalts im Hotel fühlt man sich wohl, staunt über die niemals billige, mit gutem Geschmack gewählte Einrichtung, man geht zufrieden und würde jedem den Besuch empfehlen – aber auf lange Sicht bleibt nicht viel hängen.
Rauch | R: Bram Jansen | Theater Oberhausen | Nächste Termine: Di 31.5., Di 7.6. & Fr 17.6. je 19.30 Uhr
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