Shakespeares Komödie „Was ihr wollt“ gehört zu den Stücken, die man längst zu kennen meint. Da verkleidet sich eine Frau als Mann, und nach vielen Irrungen und Wirrungen der Liebe wird geheiratet. Roger Vontobels Inszenierung aber wirft ein neues, melancholisches Licht auf diese Verwechslungskomödie, in der die Geschlechterverwirrung mehr tragisch, als komisch ist und die Frage nach (Geschlechts-) Identität(en) das Zentrum bildet. Er lässt seine Version von „Was ihr wollt“ mit einem Vorspann beginnen: Eine mondäne Hochzeitsgesellschaft tafelt unter einem Sternenhimmel aus Lichterketten. Die Szenerie wirkt zunächst vertraut: Die üblichen Trinksprüche, die üblichen inhaltsleeren Reden, die üblichen Ringelpietz-mit-Anfassen-Spiele. Nur die Braut, die ist anders, die dreht durch.
Die Hochzeit ist nicht ihr Happy End, sondern ihre Verurteilung zu einem Leben in einem viel zu engen Geschlechter- oder vielmehr Identitätskorsett. Als sie völlig zusammenbricht, erscheint ein ihr zwillingsgleicher junger Mann, der sie mit einem Feuerwehrschlauch unter Wasserbeschuss nimmt, von links tut es ihm eine intakte Brautversion der Verzweifelten gleich. Ein eindrucksvolles Bild für den Zusammenbruch. Die Eigen- und Fremderwartungen an ihre Rolle als Frau spülen sie buchstäblich hinweg. Der Lichterhimmel lüftet sich, die Braut wird vom Wasser in die Anderswelt „Illyrien“ gespült, und erst hier beginnt die eigentliche Shakespearehandlung. Der Schiffbruch als Nervenzusammenbruch, das ist nichts für Shakespearepuristen, für alle anderen aber sehr sehenswert. Jana Schulz meistert ihre Rollen als Viola, Sebastian und Cesario mit vollem Körpereinsatz und einem feinen Gefühl für Zwischentöne auf einer Bühne, die Claudia Rohner in ein düsteres Alptraumland verwandelt hat. Das Komische kommt trotzdem nicht zu kurz, denn Vontobel lässt die Nebenfiguren ausführlich zu Wort kommen und kostet den derben Humor voll aus.
Das Happy End bleibt aus, muss ausbleiben, denn die Ehe als Manifestation der gesellschaftlich bestimmten Rollen Frau und Mann kann diesen Konflikt nicht lösen. Stattdessen zerbricht die Suchende unter den Erwartungen: „Sei so, wie ich dich haben will“ ruft ihr ganz Illyrien zu. Sie kann es nicht und fällt.
„Was ihr wollt“ I Sa 18.2., 19.30 Uhr I Schauspielhaus Bochum I 0234 33 33 55 55
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