Was ist Bildung – Wissenserwerb, Persönlichkeitsentwicklung oder gar Zweckfreiheit? Womöglich die Entwicklung des Menschen zu einem „Menschsein“, das weitgehend den geistigen, sozialen und kulturellen Merkmalen entspricht, die jeweils in der Gesellschaft als Ideal der menschlichen Entwicklung gelten? Oder zielt Bildung auf eine Erziehung des Menschen, womöglich gar auf seine effiziente Verwertbarkeit im Produktionsprozess?
Das klassische Bildungsideal à la Wilhelm von Humboldt (1767 bis 1835) ist eindeutig. Es greift zurück zum einen auf das Motiv des autonomen Individuums , das Selbstbestimmung und Mündigkeit durch Vernunftgebrauch erlangt. Zum anderen auf das Motiv vom Weltbürgertum als jenes kollektive Band, das die autonomen Individuen verbindet – und zwar unabhängig von ihrer sozialen und kulturellen Sozialisation. „Soviel Welt als möglich in die eigene Person zu verwandeln, ist im höheren Sinn des Wortes Leben“, heißt es bei Humboldt. Bildung zielt demnach darauf ab, sich umfassend an der Welt „abzuarbeiten“ und sich dadurch als Subjekt zu entfalten. Dieses Subjekt, dieser Mensch, wäre dann befähigt, sich mit den großen Menschheitsfragen auseinanderzusetzen, sich um Frieden, Gerechtigkeit, den Austausch der Kulturen zu bemühen, um gerechtere Geschlechterverhältnisse oder ein gesünderes Verhältnis zur Natur.
Selbstbestimmte Weltbürger
Über 200 Jahre ist die „klassische“ Bildungskonzeption nach Humboldt mittlerweile alt. Schaut man sich die heutigen Bildungseinrichtungen von der (ehemals) allgemeinbildenden Schule bis zum Fortbildungsseminar an, dann hat sich diese idealistische Vorstellung längst überlebt (wobei fraglich bleibt, ob sie sich jemals erfüllt hat). Die jüngste Diskussion um die Pisa-Studien zeigt erneut:Allgemeinbildende Schulen werden mit immer größerer Selbstverständlichkeit unter dem Gesichtspunkt der „Optimierung von Lernprozessen im Hinblick auf deren Relevanz für ökonomisch verwertbare Arbeit“ bewertet, wie der österreichische Erziehungs- und Bildungswissenschaftler Erich Ribolits Mitte der 1990er Jahre warnte – also noch vor Pisa. Schulbildung ist somit zur bloßen Vermittlung von Kompetenzen verkommen: Kompetenzen, die ein Mensch in seinem Leben entwickeln muss, um sich in neuen, offenen, komplexen und dynamischen Situationen selbstorganisiert zurechtzufinden und darin aktiv handeln zu können. Kompetenzen sind somit nichts als Handlungsvoraussetzungen.Hieß es früher immer, man lerne nicht für die Schule, sondern für das Leben, müsste heute die Losung lauten: Man lernt nicht fürs Leben, sondern für die Kapitalverwertung. Ribolits nennt das treffend „Totalverzweckung“ des Menschen im Kapitalismus neoliberaler Prägung. Vor diesem Hintergrund stellt sich berufliche Weiterbildung als Lehre dar, die die Beschäftigten an neueArbeits- und Ausbeutungsbedingungen anpasst.
Weiterbildung für Ausbeutung
Entsprechend den kapitalistischen Verwertungsprozessen lässt sich mit jener Anpassung der Beschäftigten an die sich stetig wandelnden Arbeits- und Lebenszusammenhänge (Stichwort: Digitalisierung) viel Geld verdienen. Nur konsequent ist dann, dass sich um die Fort- und Weiterbildung eine eigene Industrie gebildet hat, in der außerordentliche Profite winken. Allein 2020 lagen die Ausgaben für betriebliche Weiterbildungen bei 12,7 Milliarden Euro – im Vergleich zu 2015 ein Zuwachs von 1,6 Milliarden Euro, wie das Portal Statista im Dezember meldete.
GLÜCKSVERSPRECHEN - Aktiv im Thema
migrapolis.de | Das Haus der Vielfalt in Bonn „nutzt und fördert die Potenziale unserer postmigrantischen Gesellschaft“ insbesondere durch Fortbildungs- und Beratungsangebote sowie Forschung.
integreater.de | In dem in Berlin ansässigen Verein „engagieren sich junge Menschen mit Migrationsgeschichte, um mit ihren Biografien Schülerinnen und Schüler zu empowern“.
idaev.de | Das Informations- und Dokumentationszentrum für Antirassismusarbeit e.V. in Düsseldorf bietet unter anderem Bildungsangebote zum Umgang mit Rassismus und Diskriminierung an.
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