trailer: Herr Ruckriegel, nach dem Ende des Arbeitslebens bleibt heute eine längere Lebensspanne als bei früheren Generationen. Muss das Alter neu gedacht werden?
Karlheinz Ruckriegel: Ich denke, das Alter wird schon neu gedacht. Aber man kann natürlich viel von den Erkenntnissen der Glücksforschung nutzen, um in dieser Lebensphase, im Alter, noch mehr aus dem Leben zu machen – vor allem mehr Wohlbefinden für sich zu schaffen.
Man sollte diese Lebensphase so gewichten wie jede andere?
Ich bin 65 und werde zum Ende des Sommersemesters pensioniert. Und dann beginnt halt eine neue Phase, aber sie wird nicht weniger interessant oder herausfordernd. Früher war es ja so: Da sind die Leute aus dem Berufsleben ausgeklinkt. Viele haben dann nicht mehr gewusst, was sie mit ihrem Leben eigentlich anfangen sollten. Mitunter gab es wirklich tragische Fälle. Binnen relativ kurzer Zeit verstarben die Menschen. Insofern ist es schon durchaus sinnhaft, wenn man sich schon vor dem Ausscheiden aus dem Berufsleben überlegt, wie man seine Zeit danach entsprechend gestalten kann.
Ich habe mittlerweile auch viele Kollegen, die schon pensioniert sind. Kein einziger von denen hat mir gesagt, dass er nicht wüsste, was er mit seiner Zeit anfangen soll. Da hat sich schon einiges getan.
„Ältere Menschen können das Leben besser einschätzen“
Was können wir im Alter besser, was schlechter?
Wenn man sich das körperlich anschaut, ist es natürlich nicht mehr so wie mit 20, 30, 40 oder 50 Jahren. Anderseits hat man viel Erfahrung gewonnen: Ältere Menschen können das Leben besser einschätzen und werden damit auch gelassener. Interessant ist auch, dass für älter werdende Menschen das Zwischenmenschliche wichtiger wird, das Materielle an Bedeutung verliert.
Tritt auch ein neues Autonomiegefühl hinzu?
Das würde ich genauso unterstreichen. Dadurch, dass sie nicht mehr in den Bewältigungsstress der täglichen Pflichten eingebunden sind, sind sie natürlich in der Lage, selbst zu bestimmen, was sie machen.
„Die Einsamkeit schlägt bei Frauen stark zu Buche“
Sind Menschen im Alter zufriedener?
Es gibt dazu Untersuchungen im Rahmen des sozioökonomischen Panels: Die Lebenszufriedenheit hat während des Lebens im Durchschnitt einen U-förmigen Verlauf. In den zwanziger Jahren hat man relativ gute Zufriedenheitswerte, wobei sie in Deutschland durchaus noch steigerbar wären – wenn man die Erkenntnisse der Glücksforschung schon frühzeitig berücksichtigen würde. In der Rushhour des Lebens geht sie dann zurück, bevor sie mit etwa mit Mitte 50 wieder steigt und sich schließlich den alten Zufriedenheitswerten aus den zwanziger Jahren nähert. Allerdings gibt es dabei einen Unterschied zwischen Frauen und Männern. Bei Frauen steigen die Werte zwar auch wieder an, gehen dann aber im Durchschnitt Mitte der Sechziger wieder zurück. Diese Ergebnisse beziehen sich auf die jetzige Generation der Älteren. Sie hat in relativ jungen Jahren geheiratet und viele von ihnen sind heute noch zusammen. Wir wissen, dass in Deutschland Männer tendenziell eher sterben als Frauen. Wenn man noch davon ausgeht, dass es auch bei der Heirat schon einen gewissen Altersunterschied gab, von vielleicht zwei bis vier Jahren, und Männer im Schnitt vier Jahre früher sterben, dann schlägt die Einsamkeit bei Frauen stark zu Buche. Insofern muss man sich überlegen, wie man insgesamt sein Alter so gestaltet, dass man auch im Fall des Falles, wenn der Partner einen vorzeitig verlässt, auf eine sinnvolle Gestaltung des Lebens und soziale Kontakte zurückgreifen kann.
„Sich körperlich lange gut zu fühlen“
Fällt es Älteren heute schwerer, körperlichen Abbau zu akzeptieren – gerade weil sie länger fit sind als frühere Generationen?
Eine Erhöhung der Lebenserwartung geht an dieser Stelle auch mit einer Erhöhung der gesunden Lebensjahre einher. Nur am Ende des Lebens ballt sich ein Krankheitserleben. Jüngere Ältere haben damit also die Möglichkeit, sich körperlich relativ lange gut zu fühlen. Nur, was heißt an dieser Stelle „sich gut fühlen“? Wenn Sie sich natürlich mit einem 30-jährigen vergleichen, dann sagen Sie wahrscheinlich, dass Sie damals viel besser drauf waren – fitter, sportlicher und so weiter. Doch relativ gesehen, auf das Alter bezogen, sind die Menschen mit ihrer Gesundheit lange Zeit zufrieden. Dadurch, dass man im Verhältnis mit der erhöhten Lebenserwartung auch mehr gesunde Lebensjahre hat, verbringt man diese ja nicht automatisch krank. Wir werden nicht immer kränker beziehungsweise bauen geistig ab in der Zeit. Von daher ist es für ältere Menschen ein Zugewinn an Lebensqualität.
Altern wird mit abnehmender Gesundheit verbunden – körperliche und geistige. Braucht es ein anderes Mindset, eine andere Einstellung?
Das Mindset ist von Haus aus wichtig gemessen an der Frage, wie man sich fühlt. Vielleicht sollte man aber auch den Blick aufs Alter ändern. Dadurch, dass die gestiegene Lebenserwartung maßgeblich einhergegangen ist mit gesunden Lebensjahren – psychisch und physisch – ist es sinnvoll, sich zu überlegen, wie man die eigene Situation noch besser ausfüllen kann. Es ist wichtig, einen realistischen Blick aufs Alter zu haben und so schon in jungen Jahren das Alter im Blick zu haben. Man sollte sein Verhalten auch danach ausrichten: Also am besten nicht rauchen, nicht übermäßig trinken und nicht zu fett essen. Sonst hat es unweigerlich Konsequenzen in der Zukunft und man ist gesundheitlich schlechter dran. Darüber hinaus: Herausforderungen im Leben suchen und aktiv bleiben. Für das seelische Wohlbefinden habe ich einen ganz tollen Tipp, nämlich das Ehrenamt. Wer pensioniert wird oder in Rente geht, hat natürlich auch mehr Zeit. Doch die will auch gestaltet werden. Menschen möchten etwas tun, das für sie Sinn ergibt. Das Ehrenamt kann genau so eine Funktion erfüllen. Dadurch, dass man sich das Ehrenamt selbst aussuchen kann, bietet es eine echte Alternative zum Arbeitsleben, ermöglicht auch, Stress in Zeiten von Krisen entgegen zu wirken und bietet dazu noch soziale Interaktion und Unterstützung, die wiederum das Selbstvertrauen stärkt.
„Etwas, in dem man seine Interessen wiederfindet“
Wann bereitet man sich am besten auf den Ruhestand vor?
Sie müssen sich schon ein paar Jahre, bevor Sie aus dem Berufsleben ausscheiden, Gedanken machen, wie Sie dann ihr Leben sinnvoll gestalten können. Wenn man sich ehrenamtlich engagieren möchte, kann ich nur empfehlen, sich schon vorab zu überlegen, in welchem Bereich das sein soll. Wenn ich pensioniert werde, wird sich in meinem Alltag nicht allzu viel ändern. Es werden sich nur bestimmte Parameter neu justieren, etwa, dass Lehrverpflichtungen wegfallen. Ich werde nach wie vor Aktivitäten im Bereich der Glücksforschung fortführen und andere Sachen wie zum Beispiel Sport. Im Fitness-Studio bin ich zweimal die Woche und mache Spinning schon seit über 25 Jahren. Für mich wird der Übergang vom Berufsleben zur Pensionierung insofern nicht weiter dramatisch. Wenn jemand allerdings einer Beschäftigung nachgeht, die sich nicht so ohne Weiteres nach Eintritt in die Rente fortführen lässt bzw. die man auch nicht fortführen möchte, dann ändert sich in den Tagesabläufen schon einiges und man muss sie neu strukturieren. Dann liegt es durchaus nahe, sich ein Ehrenamt zu suchen, in dem man seine Interessen und Neigungen wiederfindet. In vielen Städten gibt es dazu auch Beratungsstellen, bei denen man erfahren kann, welche Möglichkeiten es vor Ort dazu gibt.
„Es hat mit unserem Denken, Fühlen und Handeln zu tun“
Warum schieben so viele die Vorbereitung aufs Alter auf?
Prokrastinieren ist sehr häufig verbreitet, etwa bei Studenten, wenn sie die Vorbereitung auf die Prüfung hinausschieben. Dies hat etwas mit der Art, wie wir Denken, Fühlen und Handeln zu tun. Man spricht in der Psychologie hier auch vom sogenannten Dualen Handlungssystem, das – vereinfachend – aus unserem Neocortex und unserem limbischen System besteht. Der Neocortex ist dabei eher zukunftsorientiert. Er ist in der Lage, auch begrenzt logisch widerspruchsfrei zu denken. Zum Anderen haben wir das limbische System, das nichts mit Logik am Hut hat. Das limbische System ist ausschließlich gegenwartsbezogen und von der Evolution her gesehen viel älter als der Neocortex. Es geht beim limbischen System nur um das Überleben im Hier und Jetzt. Alles, was die Zukunft betrifft, ist hier außen vor. Nur die Belohnungen in der Gegenwart zählen. Die Zukunft, Gefahren in der Zukunft, werden einfach ausgeblendet. Beispiel Corona: Bei Pandemien haben wir schon Jahre früher gewusst, welche Maßnahmen man ergreifen müsste. Oder beispielsweise beim Thema Klimawandel hat sich auch lange Zeit wenig getan. Auch verdrängt man gerne das Alter und die Vorbereitung darauf.
GLÜCKSVERSPRECHEN - Aktiv im Thema
migrapolis.de | Das Haus der Vielfalt in Bonn „nutzt und fördert die Potenziale unserer postmigrantischen Gesellschaft“ insbesondere durch Fortbildungs- und Beratungsangebote sowie Forschung.
integreater.de | In dem in Berlin ansässigen Verein „engagieren sich junge Menschen mit Migrationsgeschichte, um mit ihren Biografien Schülerinnen und Schüler zu empowern“.
idaev.de | Das Informations- und Dokumentationszentrum für Antirassismusarbeit e.V. in Düsseldorf bietet unter anderem Bildungsangebote zum Umgang mit Rassismus und Diskriminierung an.
Fragen der Zeit: Wie wollen wir leben?
Schreiben Sie uns unter meinung@trailer-ruhr.de
Hat Ihnen dieser Beitrag gefallen? Als unabhängiges und kostenloses Medium sind wir auf die Unterstützung unserer Leserinnen und Leser angewiesen. Wenn Sie uns und unsere Arbeit finanziell mit einem freiwilligen Betrag unterstützen möchten, dann erfahren Sie über den nebenstehenden Button mehr.
Glückswochen
Intro – Glücksversprechen
„Totalverzweckung“ des Menschen
Bildung verkommt zur ökonomischen Zurichtung – Teil 1: Leitartikel
„Lernen darf kein Selbstzweck sein“
Lernexperte Benjamin Jaksch über lebenslanges Lernen und berufliche Weiterbildung – Teil 1: Interview
Demokratische Bildungsbürger
Die Freie Universität Oberhausen – Teil 1: Lokale Initiativen
Wunsch nach Anerkennung
Über Erziehung und Kinderglück am Beispiel musikalischer Stars – Teil 2: Leitartikel
„Kinder sind heute unglücklicher denn je“
Psychologe Rüdiger Maas über Erziehung, Digitalisierung und Konsum – Teil 2: Interview
Eigene Bedürfnisse kennen und ausdrücken
Kölner Verein Fair.Stärken hilft Kindern – Teil 2: Lokale Initiativen
Steiles Gefälle
Überlegungen zum Altersglück – Teil 3: Leitartikel
Was man aus dem Alter macht
Die ZWAR-Gruppen der Wuppertaler AWO – Teil 3: Lokale Initiativen
Glückliche Jugend
Wie Island das Glück junger Generationen fördert – Europa-Vorbild: Island
Glück auf Klick
Von digitalen Keksen und echter Pasta – Glosse
„Genießen der Ungewissheit“
Teil 1: Interview – Sportpädagoge Christian Gaum über das emotionale Erleben von Sportevents
„Viele Spiele haben noch einen sehr infantilen Touch“
Teil 2: Interview – Medienpädagoge Martin Geisler über Wandel in der Videospiel-Kultur
„Ich muss keine Konsequenzen fürchten“
Teil 3: Interview – Spieleautor und Kulturpädagoge Marco Teubner über den Wert des Spielens
„Mosaik der Perspektiven“
Teil 1: Interview – Miriam Bruns, Leiterin des Goethe-Instituts Budapest, über europäische Kultur
„Die Bürger vor globalen Bedrohungen schützen“
Teil 2: Interview – Politikwissenschaftler Oliver Treib über Aufgaben und Zukunft der Europäischen Union
„Der Verkauf des Kaffees nach Europa ist gestoppt“
Teil 3: Interview – Sebastian Brandis, Sprecher der Stiftung Menschen für Menschen, über das EU-Lieferkettengesetz
„Wir müssen mit Fakten arbeiten“
Teil 1: Interview – Meeresbiologin Julia Schnetzer über Klimawandel und Wissensvermittlung
„Tiefseebergbau ohne Regularien wäre ganz schlimm“
Teil 2: Interview – Meeresforscher Pedro Martinez Arbizu über ökologische Risiken des Tiefseebergbaus
„Entweder flüchten oder sich anpassen“
Teil 3: Interview – Klimaphysiker Thomas Frölicher über ozeanisches Leben im Klimawandel
„Prüfen, ob das dem Menschen guttut“
Teil 1: Interview – Publizist Tanjev Schultz über ethische Aspekte der Berichterstattung über Kriminalfälle
„Es liegt nicht am Gesetz, Kriminalität zu verhindern“
Teil 2: Interview – Kriminologe Dirk Baier über Gewaltkriminalität und Statistik
„Eltern haben das Gefühl, sie müssten Buddhas werden“
Teil 3: Interview – Familienberaterin Nina Trepp über das Vermeiden von psychischer Gewalt in der Erziehung
„Naturschutz wirkt“
Teil 1: Interview – Biologin Katrin Böhning-Gaese über Biodiversität, Wildtiere und Naturschutz
„Ernährungsweisen verändern, ohne Zwang“
Teil 2: Interview – Tierethikerin Friederike Schmitz über vegane Ernährung