trailer: Hallo Ulrich, mit welchen Projekten bist Du als Jazzpianist aktiv?
Ich habe seit vielen Jahren mein eigenes Trio, wo in der Regel Hendrik Gosmann Kontrabass spielt und Peter Funda Schlagzeug. Das kann aber auch mal wechseln. Das ist im Jazz durchaus üblich. Darüber hinaus spiele ich in unterschiedlichen Besetzungen. Das sind nicht unbedingt immer Sachen, die ich selbst initiiert habe. Wir veranstalten einmal im Jahr, am 23.12., die „Xmas Soulnight“ und mit der „Soulnight Band“ spielen wir über das Jahr verteilt auch einige Konzerte.
Und du bist Veranstalter.
Mit meinem Veranstaltungsbüro „UR-Werk“ beschäftige ich mich mit der Planung und der Technik von unterschiedlichen Veranstaltungen, von der Sportmeisterehrung in der Sparkasse bis, zum Beispiel „Musik im Nordpark“. Das fällt zwar in diesem Jahr leider aus, hat aber die letzten vier Jahre stattgefunden. Dafür habe ich sowohl das Programm entwickelt als auch die Technik zur Verfügung gestellt. Anfang 2013 haben wir den Verein „Open Sky e.V.“ gegründet. Die Aussage „Music is an open sky“ wurde von Peter Kowald geprägt, einer der Ikonen des Free-Jazz und einem Urvater der Wuppertaler Jazzszene. Dieser Satz wurde zum Titel unserer „JazzSession“, die seit 1992 ca. 18-mal im Jahr stattfindet. Mit diesem Titel wollten wir deutlich machen, dass sich die „JazzSession“ für alle Musiker öffnet und innerhalb von Jazz alle Spielarten vertreten sein dürfen. Mit der gleichen Idee haben wir den Verein gegründet, um Veranstaltungen wie die regelmäßig stattfindende „JazzSession“ oder das „Wuppertaler Jazz-Meeting“ aber auch Einzelveranstaltungen zu konzipieren und durchzuführen.
Du bist gut in der Wuppertaler Musik- und Kulturszene vernetzt. Wie wirkt sich die Corona-Situation allgemein auf die Künstler aus?
Das Spektrum reicht von Schockstarre bis zu blindem Aktionismus. Es ist für alle Künstler – egal ob Musiker, Tänzer, Schauspieler oder andere Bühnenkünstler – natürlich ein hundertprozentiger Einschnitt. Es bleibt nichts übrig. Die Einnahmen sind weg. Da der überwiegende Teil – vor allem in der freien Szene – wenig Puffer und Rücklagen hat, wirkt sich das katastrophal aus. Leute, die sowieso mit einem knappen Budget auskommen müssen, haben auch keine Chance, sich etwas zurückzulegen.
Hast du Forderungen an die Politik?
Grundsätzlich finde ich, dass es die Politik in Deutschland zunächst gut gemacht hat. Das Krisenmanagement hat schnell reagiert und nachvollziehbare Entscheidungen getroffen. Was ich schwierig fand und finde, ist die Sache mit der Soforthilfe für Freischaffende und Soloselbstständige: Die ist unglücklich verlaufen, was den Informationsfluss anbelangt. Seit einigen Wochen wird massiv die Debatte geführt, wie es jetzt nach der Soforthilfe weitergeht: Künstler, die keine Einnahmen mehr haben, sollen in Hartz IV gehen. Darüber kann man sich streiten. Es wurde Künstlern untersagt, aufzutreten und so Geld zu verdienen. Unverschuldet. Das ist quasi ein Berufsverbot. Und der Unmut über den Umgang mit den vielen Kulturschaffenden ist verständlich und berechtigt: Während z.B. Angestellte selbstverständlich in Kurzarbeit gehen können und große Firmen mit großer Unterstützung durch den Staat rechnen können, werden freischaffende Künstler und Soloselbstständige auf ein Existenzminimum gezwungen, mit dem viele nicht überleben können. Da muss die Politik sich also dringend noch deutlich mehr bewegen und bemühen, zu verstehen, wie Kulturschaffende und andere Soloselbstständige der Kreativbranche arbeiten und aufgestellt sind.
Was wären denn Deiner Meinung nach das Worst-Case- und das Best-Case-Szenario, wie Corona die Kunst- und Kultur-Szene nachhaltig verändern könnte?
Der Worst-Case wäre, dass sich die Suche nach Impfstoffen und Heilungsmöglichkeiten noch länger zieht, als bisher angenommen und es sich noch länger als bis ins kommende Jahr zieht. Das wäre für die gesamte Gesellschaft, aber besonders die Künstler, sehr hart. Aber selbst unter der günstigen Prognose, dass es z.B. Ende des Jahres einen Impfstoff geben würde, wird das Leben der Künstler und Kulturschaffenden doch ganz anders werden, als es vorher war. Streaming-Angebote werden gerade – notgedrungen – kultiviert. Ich glaube nicht, dass sich die Live-Szene wieder so etabliert, wie das früher mal der Fall war, weil sich die Online- bzw. Livestreaming-Angebote auch etablieren werden.
Wie kann die Kunst- und Kulturszene darauf reagieren?
Wie anders die Situation nach der Krise sein wird, hat meiner Meinung nach viel damit zu tun, wie sich die Szene untereinander vernetzt, solidarisiert und organisiert, um dafür zu sorgen, dass für Auftritte auch akzeptable Honorare gezahlt werden. Das Problem gab es allerdings auch schon vor Corona: In den letzten Jahren hat in der freien Szene ein heftiges Preis-Dumping stattgefunden. Hutkonzerte gibt es an jeder Ecke. Es hat sich ein extrem niedriges Eintritts- und Gagenniveau etabliert und das hat auch dazu geführt, dass mit Corona eine Riesen-Szene buchstäblich von heute auf morgen platt war. Rechtsanwälte, Zahnärzte, Gutachter oder Psychologen sind in Verbänden organisiert. Die haben alle ihre Vorgaben oder Gebührenordnungen wie über Stundensätze abgerechnet wird. Genauso geht’s in der Kultur zwar sicher nicht, aber es gibt ein paar Dinge, die sich die freie Szene von anderen Branchen abgucken muss.
Kann die Krise den nötigen Sinneswandel anstoßen?
Ich hoffe, dass am Ende allen Künstlern und Kreativen klar wird: „Wir müssen uns organisieren, uns gegenseitig stützen und solidarisch miteinander sein. Wir dürfen uns nicht gegenseitig über Preise und Gagen ausstechen. Wir müssen dafür sorgen, dass realistische Eintrittsgelder vom Publikum akzeptiert werden.“ 5 Euro oder 8 Euro Eintritt: Das geht nicht – egal, worum es geht.
Du hast Hutkonzerte angesprochen. Zahlungsbereitschaft hängt auch mit Wertschätzung zusammen. Glaubst du, dass sie nach Corona steigen wird?
Ich glaube zwar nicht, dass man Hutkonzerte verbieten kann und sollte. Ich würde mich aber freuen, wenn sie sich von sich aus verbieten würden. Und ich hoffe, dass es die Leute nach einer langen Zeit der Entbehrung mit Begeisterung aufnehmen werden, wieder echte Musiker live von einer Bühne zu sehen.
Hat Ihnen dieser Beitrag gefallen? Als unabhängiges und kostenloses Medium sind wir auf die Unterstützung unserer Leserinnen und Leser angewiesen. Wenn Sie uns und unsere Arbeit finanziell mit einem freiwilligen Betrag unterstützen möchten, dann erfahren Sie über den nebenstehenden Button mehr.
„Es steckt eine Frauen-Power-Aussage dahinter“
Sängerin und Produzentin Maria Basel über ihre Musik – Interview 11/20
„Wir brauchen Diversität“
Rapper Horst Wegener über seine Musik, Rassismus und Corona – Interview 07/20
„Es ist eine unglaublich schwierige Zeit“
Singer-Songwriter Florian Franke über seine Musik und Corona – Interview 05/20
„Erstaunlich, dass Gangsta-Rap Mainstream-Musik ist“
Rapper Prezident über die deutsche Hip-Hop-Szene – Interview 04/20
„Diesen Typen spiele ich dir mit allem, was ich habe“
Alexander Scheer über „Gundermann“ – Roter Teppich 08/18
Pessimistische Gewürzmädchen
Maustetytöt im Düsseldorfer Zakk – Musik 11/24
Komm, süßer Tod
„Fauré Requiem“ in der Historischen Stadthalle Wuppertal – Musik 11/24
Konfettiregen statt Trauerflor
Sum41 feiern Jubiläum und Abschied in Dortmund – Musik 11/24
Erste Regel: Kein Arschloch sein
Frank Turner & The Sleeping Souls in Oberhausen – Musik 10/24
Eine ganz eigene Kunstform
Bob Dylan in der Düsseldorfer Mitsubishi Electric Halle – Musik 10/24
Psychedelische Universen
Mother‘s Cake im Matrix Bochum – Musik 10/24
Sich dem Text ausliefern
Bonnie ,Prince‘ Billy in der Essener Lichtburg – Musik 10/24
Improvisationsvergnügen
Das Wolfgang Schmidtke Orchestra in der Immanuelskirche – Musik 09/24
Essen-Werden auf links drehen
Cordovas im JuBB – Musik 09/24
Rock ‘n‘ Roll ohne Schnickschnack
Gene Simmons und Andy Brings in der Turbinenhalle Oberhausen – Musik 08/24
Vielfalt, Frieden und Respekt
3. Ausgabe von Shalom-Musik.Koeln – Musik 07/24
Die Ruhe im Chaos
Emma Ruth Rundle in Bochum und Köln – Musik 07/24
Musikalische Feier
Markus Stockhausen Group im Wuppertaler Skulpturenpark Waldfrieden – Musik 07/24
Verzauberung des Alltags
The Düsseldorf Düsterboys in Essen – Musik 07/24
Brachialromantik im Tempel
Qntal in Oberhausen – Musik 07/24
Von Roskilde nach Dortmund
Blasmusiker LaBrassBanda in Dortmund – Musik 06/24
Die Tarantel hat immer noch Biss
Tito & Tarantula in Dortmund – Musik 06/24
Doppelkonzert der Extraklasse
Ghost Woman und Suzan Köcher Duo in Düsseldorf – Musik 06/24
Eine Extraschicht Kultur
Festival Extraschicht 2024 im Ruhrgebiet – Musik 05/24
Mehr Wut, bitte!
Wilhelmine begeisterte in Bochum – Musik 05/24