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Ulrich Rasch
Foto: Jan Turek

„Wir müssen uns organisieren und solidarisch sein“

09. Juni 2020

Jazzpianist Ulrich Rasch über die Not der freien Szene – Interview 06/20

trailer: Hallo Ulrich, mit welchen Projekten bist Du als Jazzpianist aktiv?

Ich habe seit vielen Jahren mein eigenes Trio, wo in der Regel Hendrik Gosmann Kontrabass spielt und Peter Funda Schlagzeug. Das kann aber auch mal wechseln. Das ist im Jazz durchaus üblich. Darüber hinaus spiele ich in unterschiedlichen Besetzungen. Das sind nicht unbedingt immer Sachen, die ich selbst initiiert habe. Wir veranstalten einmal im Jahr, am 23.12., die „Xmas Soulnight“ und mit der „Soulnight Band“ spielen wir über das Jahr verteilt auch einige Konzerte.

Und du bist Veranstalter.

Mit meinem Veranstaltungsbüro „UR-Werk“ beschäftige ich mich mit der Planung und der Technik von unterschiedlichen Veranstaltungen, von der Sportmeisterehrung in der Sparkasse bis, zum Beispiel „Musik im Nordpark“. Das fällt zwar in diesem Jahr leider aus, hat aber die letzten vier Jahre stattgefunden. Dafür habe ich sowohl das Programm entwickelt als auch die Technik zur Verfügung gestellt. Anfang 2013 haben wir den Verein „Open Sky e.V.“ gegründet. Die Aussage „Music is an open sky“ wurde von Peter Kowald geprägt, einer der Ikonen des Free-Jazz und einem Urvater der Wuppertaler Jazzszene. Dieser Satz wurde zum Titel unserer „JazzSession“, die seit 1992 ca. 18-mal im Jahr stattfindet. Mit diesem Titel wollten wir deutlich machen, dass sich die „JazzSession“ für alle Musiker öffnet und innerhalb von Jazz alle Spielarten vertreten sein dürfen. Mit der gleichen Idee haben wir den Verein gegründet, um Veranstaltungen wie die regelmäßig stattfindende „JazzSession“ oder das „Wuppertaler Jazz-Meeting“ aber auch Einzelveranstaltungen zu konzipieren und durchzuführen.

Du bist gut in der Wuppertaler Musik- und Kulturszene vernetzt. Wie wirkt sich die Corona-Situation allgemein auf die Künstler aus?

Das Spektrum reicht von Schockstarre bis zu blindem Aktionismus. Es ist für alle Künstler – egal ob Musiker, Tänzer, Schauspieler oder andere Bühnenkünstler – natürlich ein hundertprozentiger Einschnitt. Es bleibt nichts übrig. Die Einnahmen sind weg. Da der überwiegende Teil – vor allem in der freien Szene – wenig Puffer und Rücklagen hat, wirkt sich das katastrophal aus. Leute, die sowieso mit einem knappen Budget auskommen müssen, haben auch keine Chance, sich etwas zurückzulegen.

Hast du Forderungen an die Politik?

Grundsätzlich finde ich, dass es die Politik in Deutschland zunächst gut gemacht hat. Das Krisenmanagement hat schnell reagiert und nachvollziehbare Entscheidungen getroffen. Was ich schwierig fand und finde, ist die Sache mit der Soforthilfe für Freischaffende und Soloselbstständige: Die ist unglücklich verlaufen, was den Informationsfluss anbelangt. Seit einigen Wochen wird massiv die Debatte geführt, wie es jetzt nach der Soforthilfe weitergeht: Künstler, die keine Einnahmen mehr haben, sollen in Hartz IV gehen. Darüber kann man sich streiten. Es wurde Künstlern untersagt, aufzutreten und so Geld zu verdienen. Unverschuldet. Das ist quasi ein Berufsverbot. Und der Unmut über den Umgang mit den vielen Kulturschaffenden ist verständlich und berechtigt: Während z.B. Angestellte selbstverständlich in Kurzarbeit gehen können und große Firmen mit großer Unterstützung durch den Staat rechnen können, werden freischaffende Künstler und Soloselbstständige auf ein Existenzminimum gezwungen, mit dem viele nicht überleben können. Da muss die Politik sich also dringend noch deutlich mehr bewegen und bemühen, zu verstehen, wie Kulturschaffende und andere Soloselbstständige der Kreativbranche arbeiten und aufgestellt sind.


Ulrich Rasch, Foto: Jan Turek

Was wären denn Deiner Meinung nach das Worst-Case- und das Best-Case-Szenario, wie Corona die Kunst- und Kultur-Szene nachhaltig verändern könnte?

Der Worst-Case wäre, dass sich die Suche nach Impfstoffen und Heilungsmöglichkeiten noch länger zieht, als bisher angenommen und es sich noch länger als bis ins kommende Jahr zieht. Das wäre für die gesamte Gesellschaft, aber besonders die Künstler, sehr hart. Aber selbst unter der günstigen Prognose, dass es z.B. Ende des Jahres einen Impfstoff geben würde, wird das Leben der Künstler und Kulturschaffenden doch ganz anders werden, als es vorher war. Streaming-Angebote werden gerade – notgedrungen – kultiviert. Ich glaube nicht, dass sich die Live-Szene wieder so etabliert, wie das früher mal der Fall war, weil sich die Online- bzw. Livestreaming-Angebote auch etablieren werden.

Wie kann die Kunst- und Kulturszene darauf reagieren?

Wie anders die Situation nach der Krise sein wird, hat meiner Meinung nach viel damit zu tun, wie sich die Szene untereinander vernetzt, solidarisiert und organisiert, um dafür zu sorgen, dass für Auftritte auch akzeptable Honorare gezahlt werden. Das Problem gab es allerdings auch schon vor Corona: In den letzten Jahren hat in der freien Szene ein heftiges Preis-Dumping stattgefunden. Hutkonzerte gibt es an jeder Ecke. Es hat sich ein extrem niedriges Eintritts- und Gagenniveau etabliert und das hat auch dazu geführt, dass mit Corona eine Riesen-Szene buchstäblich von heute auf morgen platt war. Rechtsanwälte, Zahnärzte, Gutachter oder Psychologen sind in Verbänden organisiert. Die haben alle ihre Vorgaben oder Gebührenordnungen wie über Stundensätze abgerechnet wird. Genauso geht’s in der Kultur zwar sicher nicht, aber es gibt ein paar Dinge, die sich die freie Szene von anderen Branchen abgucken muss.

Kann die Krise den nötigen Sinneswandel anstoßen?

Ich hoffe, dass am Ende allen Künstlern und Kreativen klar wird: „Wir müssen uns organisieren, uns gegenseitig stützen und solidarisch miteinander sein. Wir dürfen uns nicht gegenseitig über Preise und Gagen ausstechen. Wir müssen dafür sorgen, dass realistische Eintrittsgelder vom Publikum akzeptiert werden.“ 5 Euro oder 8 Euro Eintritt: Das geht nicht – egal, worum es geht.

Du hast Hutkonzerte angesprochen. Zahlungsbereitschaft hängt auch mit Wertschätzung zusammen. Glaubst du, dass sie nach Corona steigen wird?

Ich glaube zwar nicht, dass man Hutkonzerte verbieten kann und sollte. Ich würde mich aber freuen, wenn sie sich von sich aus verbieten würden. Und ich hoffe, dass es die Leute nach einer langen Zeit der Entbehrung mit Begeisterung aufnehmen werden, wieder echte Musiker live von einer Bühne zu sehen.

Interview: Jan Turek

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