Wäre die Atmosphäre im Saal ein Bier, wäre das süffig und erfrischend. Trotzdem stiege ein schwer fassbarer Hauch von „Da fehlt doch was …“ in die Nase. Gene Simmons liefert am 6. August in Oberhausen ein überzeugendes Rockkonzert ab und verdünnisiert sich dann ohne große Worte von der Bühne. Kein nochmaliges „Vielen Danke“, kein (mittlerweile bei Konzerten fast obligatorisches) Foto vor der jubelnden Menge. Und keine Zugabe, obwohl bis 23 Uhr noch Luft wäre. Auf der anderen Seite: In den 80 Minuten, in denen die Gene Simmons Band auf der Bühne steht, zeigt sie, dass Songs von Kiss einfach gute Rocksongs sind, die keine Maschinen brauchen, die Feuer spucken – oder Menschen, die dasselbe mit Blut tun.
Ein Auftakt mit Andy Brings & Band
Doch zum Anfang, und den machen Andy Brings & Band. Andy weiß, dass das Publikum nicht für ihn gekommen ist, aber schließlich ist auch er wegen Gene da – und zeigt in den Songs und Ansprachen, was ihm dieser Auftritt bedeutet. Die Energie, die er seit Jahrzehnten von Kiss bezieht, entlädt sich in diesem kraftvollen Auftritt. Leider springt sie nicht so ganz auf das Publikum über. Vielleicht liegt es an einigen Schlager-Punk-Songs im Repertoire. Auf jeden Fall tut die wie erwartet grässliche Akustik der Turbinenhalle ihr Übriges, die Stimmung gedämpft zu halten. Vorne klingt alles nach Brei, an den Seiten echot der Klang von hinten und selbst am Mischpult kommen nur die Basstöne an. Mit dem Kracher „Rock ‘n‘ Roll“ schließt die Vorband. Gute Wahl, denn Titel und Klang des Stücks sind schließlich Programm.
Nach einer Pause, die länger dauert als der Auftritt von Andy Brings & Band, erscheint schließlich die Gene Simmons Band auf der Bühne und beginnt direkt mit dem zeitlosen Riff von „Deuce“. Mit diesem Song eröffneten auch Kiss schon häufig ihre Konzerte. Sofort wird klar: keine Pyros, keine Kostüme, aber lauter, harter, geradliniger Rock ‘n‘ Roll. Gene Simmons: 74 Jahre, aber kein bisschen leise. Er liefert auch keinen Oldie-Rock der Studioaufnahme von vor unglaublichen 50 Jahren ab, nein, die Kraft des Live-Albums „Alive III“ ist sofort da. Mit „War Machine“, das so schwer und stampfend groovt, wie der Name vermuten lässt, geht es weiter. Jetzt ist der Sound für die Verhältnisse der Turbinenhalle gut. Nicht wirklich ausbalanciert, aber immerhin hallt es nicht aus allen Richtungen wider. Der Bass ist überpräsent, aber schließlich ist die Band das Projekt ihres Bassisten.
Solos, Superstars und ein außergewöhnlicher Drummer
Der zeigt sich das ganze Konzert hinweg erstaunlich wenig Superstar-mäßig. Deutlich älter als seine Bandkollegen, bewegt er sich weniger als diese, bedankt sich bei ihnen, gibt ihnen in der zweiten Konzerthälfte genug Raum, ihr Können in umfangreichen Soli zu präsentieren. Brent Woods (u.a. Wildside, Sebastian Bach) und Jason Walker spielen souverän auf den Sechssaitern und lassen die lässigen Rocker raushängen. Brian Tichy (u.a. Foreigner, Whitesnake) scheint seinen Job zu lieben und sein Instrument zu hassen. Und wenn Liebe und Hass aufeinandertreffen, dann nennt man das Wahnsinn. Danach klingt nicht nur sein Schlagzeugsolo, sondern sein gesamtes Spiel. Es ist das ganze Konzert über faszinierend anzusehen, wie virtuos-wütend er auf die Trommeln eindrischt.
Neben weiteren Klassikern von Kiss wie „Charisma“, „Parasite“, „I Love It Loud“ und „Cold Gin“ werden noch größere und kleinere Überraschungen dargebracht: „Are You Ready?“ kennt zwar so gut wie niemand, aber der Refrain lässt sich in bester Kiss-Manier sofort mitsingen. Von seinem 2004er-Solo-Album „Asshole“ spielt er „Weapons of Mass Destruction“. Auch eine Demoversion von Van Halens „House Of Pain“ ist zu hören – Gene Simmons hatte die Band damals in den 70ern entdeckt. Zu Ehren des verstorbenen und doch unsterblichen Bass-Kollegen Lemmy Kilmister von Motörhead gibt es „Ace of Spades“ auf die Ohren. Statt zu tanzen, strecken die Leute im Publikum aber gerade bei den wildesten, partystärksten Songs ihre Mobiltelefone in die Höhe.
Ein wenig „Demon“ muss sein
Kinder auf die Bühne zu holen, ist eine nette Idee, zieht sich aber unnötig lange hin. Die Ansagen hingegen sind selten zu lang. Nur einmal lässt der ehemalige „Demon“ sein Ego raushängen: „Ich spreche Deutsch, Englisch, Japanisch, Hebräisch … und natürlich die Sprache der Liebe.“ Immerhin: Mit Sprachkenntnissen und Bettqualitäten in einem Satz anzugeben – das macht einen Rockstar nach meinem Geschmack. Ein klein wenig sadistisch ist es, „God of Thunder“ und andere Hits nur anzuspielen. Da ist wieder das Gefühl, dass noch mehr geht. Bis das Konzert mit einem ironisch wirkenden „Rock and Roll All Nite“ um 22.35 Uhr dann zu Ende ist, nimmt Gene Simmons immerhin einmal das Mikrofon komplett in den Mund und prustet eine Wasserfontäne in die Luft. So viel Demon muss doch noch raus. Den Rock ‘n‘ Roll jedenfalls hat er kompromisslos geliefert.
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