„HEXEN 2.0“ von Suzanne Treister ist die Fortsetzung ihres Projekts „HEXEN 2039“, das sich künstlerisch mit möglichen neuen Technologien für die psychologische Kriegsführung beschäftigte. Die Recherchen von Treister führen jetzt zurück zu den Teilnehmern der wegweisenden Macy-Konferenzen (1946-1953), deren primäres Ziel es war, die Grundlagen einer neuen, allgemeinen Wissenschaft über die Funktionsweisen des menschlichen Geistes zu entwickeln, aus dem auch das Internet entstand. Doch immer stehen hinter der historisch verbürgten Forschungsarbeit auch die Regierungsprogramme zur Massenkontrolle.
Die Ausstellung „History has left the Building“ von Francis Hunger thematisiert die Hoffnungen und Visionen, die in den staatlich organisierten Utopien des 20. Jahrhunderts mit der Entwicklung neuer Technologien verbunden waren, und erinnert an die Opfer dieses technologischen Fortschritts. Hungers künstlerische Narrationen in Form von Installationen, Performances und Hörspielen reflektieren die neuralgischen Kristallisationspunkte zwischen Technologie und Ideologie, welche Rückschlüsse auf die gesellschaftliche Verfasstheit vor und nach dem Zusammenbruch des Kommunismus zulassen. trailer sprach mit der Kuratorin Inke Arns.
trailer: Frau Arns, erst der Kampf ums Öl, jetzt die Auseinandersetzung mit Utopien im Dortmunder U, ist Medienkunst per Definition gesellschaftspolitisch?
Inke Arns: So wie ich sie zeige, ist sie es durchaus. Medienkunst ist nicht per se apolitisch oder per se politisch. Das ist immer die Frage, für was man sich interessiert. Ich interessiere mich für künstlerische Positionen, die durchaus auch politische Thesen vertreten.
Was kommt nach Suzanne Treisterspsychologischer Kriegsführung auf uns zu?
Schauen wir uns mal ihre Tarotkarten hier an der Wand an. Jede dieser 70 Unikat-Karten ist in sich so komplex, dass jede gleichzeitig ein Thema für eine Doktorarbeit sein könnte. Das Interessante der ganzen Ausstellung vonSuzanne Treister ist, dass siedie Grenze zwischen Fakten und Fiktion vermischt, und das Interessante und teilweise auch Schockierende ist, dass viel von dem, was wir sehen, gar keine Fiktion ist, obwohl es in dem Gewand daherkommt. Deswegen glaube ich, dass wir noch mit sehr viel rechnen müssen.
Der Okkultismus kommt auch wieder auf uns zu?
Ich bin ja nicht so ein Anhänger von Okkultismus. Aber es ist schon interessant, wenn man sich die Technologiegeschichte zum Beispiel in den Vereinigten Staaten ansieht, dass da in der Tat immer noch mit Technik gearbeitet oder geforscht wird, die man normalerweise okkulten Gebieten zuordnen würde. „Remote Viewing“ zum Beispiel, heißt übersetzt „Fern-Sehen“, ist also die Fähigkeit, die manche Menschen haben, entfernte Dinge zu sehen oder auch Grundrisse von entfernten Häusern zu zeichnen. Die Medien berichten ab und an, dass da in den Gängen der Geheimdienste und Militärs durchaus mit solchen technischen Sachen gearbeitet wird. Und das ist nicht so weit entfernt von dem, was wir Realität nennen.
Und mit Francis Hunger kommt noch mehr Technologie?
Francis Hunger beschäftigt sich mit der anderen Seite des ehemaligen Eisernen Vorhangs. Während sichSuzanne Treister an der westlichen Technologiegeschichte abarbeitet, also auch mit dem Internet als vorrangig amerikanisches Phänomen, dessen ganze Forschung 1957 über den Sputnik-Schock ausgelöst wurde, hat Francis Hunger umfassend zur Technologiegeschichte in der Sowjetunion recherchiert und untersucht in seiner Ausstellung beispielsweise einen obskuren sowjetischen ternären Computer, den Setun-Computer, der in den 1950er Jahren entwickelt worden ist und eben nicht auf einem binären, sondern einem ternären System (0, 1, -1) basiert. Auch beschäftigt er sich mit der Kosmonautengeschichte Ende der 1970er Jahre in der Sowjetunion anhand der Kosmonautin Irina Ewgenia Schukowa, die parallel zuValentina Tereschkovaausgebildet worden ist, dann aber, so Francis Hunger, obwohl qualifizierter, aufgrund von ideologischen Gründen nicht für den ersten Weltraumflug ausgewählt wurde.
Und zum ternären Computer von Nikolai Brussenzow macht Hunger eine Performance?
Es gibt fünf Termine, an denen Francis Hunger immer samstags und sonntags hier anwesend sein wird. Er hat dafür einen riesigen Informationsschalter aufgebaut, wo man sich dann an der langen Schlange anstellen kann, und wir vermuten, dass sich sehr lange Schlangen bilden werden. Hier gibt der Künstler Auskunft auf die Fragen der Besucher, die sie möglicherweise zu diesem seltsamen ternären Setun-Computer haben.
Wären das also die zukünftigen Systeme der sozialen Manipulation?
Das kann ich nicht genau sagen. AuchFrancis Hungeroder Suzanne Treister können das wohl nicht so genau sagen. Ich denke, Treister zeigt, dass die Realität um uns herum komplexer ist, als wir normalerweise annehmen. Dass von diesen merkwürdigen Dingen mehr existieren, als das, was in den Medien darüber steht. Ich glaube, es geht in beiden Ausstellungen in erster Linie um eine Schärfung von Wahrnehmung.
Zu merken, dass das Internet mal richtig gefährlich werden könnte?
Ich glaube nicht, dass sie sagen würden, dass das Internet gefährlich werden könnte. Ich glaube, darum geht es nicht. Was sie interessiert, ist zu schauen, in was für historischen Kontexten das System überhaupt entstanden ist. Das ist uns ja heute gar nicht mehr bewusst, aus welchen Gründen das frühe Internet entstanden ist, aus was für Phantasien, Erwartungen, Hoffnungen, auch den Dystopien, die sich daran geknüpft haben. Und was für Drogengeschichten damit zusammenhängen. Das ist eine hochkomplexe Geschichte. Treister will schon auf die wahnsinnige Präsenz dieser Systeme hinweisen – das auf jeden Fall. Aber ich glaube nicht, dass sie soweit gehen würde zu sagen, das Internet ist das neue Kontrollinstrument. Wobei Facebook ...
Also hilft uns nur noch Gaia, die personifizierte Erde?
Genau (lacht).
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