Mit Zeitreisen ist das so eine Sache. Entweder sie finden im kleinen Kreis anhand von Fotos oder persönlichen Gegenständen statt. Man betrachtet dann still seine Fundsachen und denkt wortlos an ein Gefühl oder auch eine Person von früher zurück. Oder die Zeitreisen passieren im Fernsehen, wo Dokus mit launigen Interviewpartnern und bunt oder schwarzweiß zusammengewürfelten Schnipseln nach Authentizität und einem besonderen Zeitgefühl fahnden.
Die besten Zeitreisen sind aber die, wo man wirklich in einem Rutsch, also für zwei Stunden, ungestört in eine andere Zeit eintauchen kann. Ältere Spielfilme sind deshalb wertvoller denn je. Die Essener Filmkunstkinos setzen auch in diesem Jahr ihre Retro-Reihe mit Filmen fort, die Jahre zuvor im Kino liefen. Die Auftaktveranstaltung im Januar gehörte Jean-Pierre Melvilles letztem Film „Der Chef“ mit Alain Delon, Catherine Deneuve und Richard Crenna. Mit eiskalter Miene lenkt Delon darin seinen Polizeiwagen durch die Pariser Straßen. „Jeden Nachmittag beginne ich meine Rundfahrt. Immer zur gleichen Zeit fahre ich die Champs-Elysées hinunter. Sobald es Abend wird, beginnt meine Zeit.“
Melvilles Hommage an die Schauplätze und Themen seiner vorausgegangenen Filme „Drei Uhr nachts“, „Der eiskalte Engel“ und „Vier im roten Kreis“ widmet sich der Nacht, den wortlosen Begegnungen, sich wiederholenden Floskeln und den Autos und Metrozügen, die die Menschen schnell von A nach B bringen, aber nicht wirklich weiter. Am Ende hat Delon als eiskalter Kommissar Coleman seinen Freund, einen Gangsterboss, niedergeknallt. Die gemeinsame Geliebte Cathy wird durch die Heckscheibe immer kleiner und kleiner und bleibt einsam zurück. Der nächste Einsatz ruft.
Auch die nächsten Filme der Reihe „Kino 1973“ können sich sehen lassen. In Herbert Ross‘ „Mach’s noch einmal, Sam“ (8.2. 20 Uhr, Astra) verwandelt sich ein verlassener, unsicherer Filmkritiker, gespielt von Woody Allen, in Humphrey Bogart. Die witzig-intelligente „Casablanca“-Hommage kegelt in einem Wurf die gängigsten Geschlechterklischees um und schafft trotzdem oder deswegen eine ganz eigene Verbeugung vor Menschen, die sich hemmungslos verlieben.
Peter Bogdanovichs schwarzweißer „Paper Moon“ (8.3. 20 Uhr, Astra) fährt mit dem Vater-Tochter-Gespann Ryan und Tatum O’Neal zurück in die 1930er Jahre. Die Geschichte eines Trickbetrügers, der ein 9-jähriges Waisenmädchen von Kansas nach Missouri kutschieren soll, basiert auf einem Roman Joe David Browns. Bogdanovich destilliert aus der Vorlage eine launige und mitunter trotzdem ernste Screwball-Komödie um die Sorgen der kleinen Leute und das Glück des Unterwegsseins.
Am 12.4. (20 Uhr, Eulenspiegel) folgt dann Franklin J. Schaffners unverwüstlicher, auch in den 1930ern spielender Gefangenenfilm „Papillon“ mit Steve McQueen und Dustin Hoffman, der hierzulande jahrelang immer wieder in Sommer- und Klassikerreihen zu sehen war.
Hat Ihnen dieser Beitrag gefallen? Als unabhängiges und kostenloses Medium sind wir auf die Unterstützung unserer Leserinnen und Leser angewiesen. Wenn Sie uns und unsere Arbeit finanziell mit einem freiwilligen Betrag unterstützen möchten, dann erfahren Sie über den nebenstehenden Button mehr.
Besuchen Sie Europa
Die Studie Made in Europe und ihre Folgen – Vorspann 12/24
Filmfestivalmonat November
Mit der Duisburger Filmwoche, Doxs! und dem Blicke – Filmfestival des Ruhrgebiets – Vorspann 11/24
Reise in die Seele des Kinos
Die Ausstellung „Glückauf – Film ab“ in Essen – Vorspann 10/24
Programmkollaps
Vergraulen immer komplexere Kinoprogramme das Publikum? – Vorspann 09/24
Zurück zum Film
Open-Air-Kinos von Duisburg bis Dortmund – Vorspann 08/24
„Poor Things“, reiches Cannes
Eine Bilanz der ersten sechs Kinomonate – Vorspann 07/24
Ewige Stadt, ewiges Kino
In Rom werden aus alten verlassenen Kinos wieder Kinos – Vorspann 06/24
Der Kurzfilm im Rampenlicht
Die Internationalen Kurzfilmtage Oberhausen 2024 – Vorspann 05/24
„Viel Spaß beim Film“
Vom Ende der Platzanweiser:innen – Vorspann 04/24
Was läuft im Kino?
Über die Programmierkunst echter und gespielter Helden – Vorspann 03/24
Prognose: Lachstürme
Die Komödie findet endlich ins Kino zurück – Vorspann 02/24
Emanzipation und Alltag
Starke Protagonistinnen im Januar – Vorspann 01/24
„Das Ruhrgebietspublikum ist ehrlich und dankbar“
Oliver Flothkötter über „Glückauf – Film ab!“ und Kino im Ruhrgebiet – Interview 12/24
Hagener Bühne für den Filmnachwuchs
„Eat My Shorts“ in der Stadthalle Hagen – Foyer 11/24
Ruhrgebietsfilmgeschichte erleben
„Glückauf – Film ab!“ im Essener Ruhr Museum
Zermürbte Gesellschaft
choices preview zu „Critical Zone“ im Odeon – Foyer 11/24
Die ganze Palette Kino
9. European Arthouse Cinema Day – Festival 11/24
Kunst des Nicht-Wegschneidens
„Anna Zeit Land“ im Filmforum – Foyer 10/24
Liebe und Macht
choices preview zu „Power of Love“ in der Filmpalette – Foyer 10/24
Restitution von Kolonialraubkunst
„Dahomey“ und „The Story of Ne Kuko“ im Filmforum – Foyer 10/24
„Die Geschichte ist jetzt unfassbar aktuell“
Regisseur Andreas Dresen über „In Liebe, Eure Hilde“ – Gespräch zum Film 10/24