Kinokalender
Mo Di Mi Do Fr Sa So
17 18 19 20 21 22 23
24 25 26 27 28 29 30

12.595 Beiträge zu
3.821 Filmen im Forum

„Herz und Hund und Kunst und Leben“
Foto: Diana Küster

„Zadek, Platz!“

27. Juni 2013

Litschers unterhaltsamer Bochumer Theaterrundgang – Theater Ruhr 07/13

In diesem Kunsttempel haben die Granden der Bühnenkunst ihre Duftnoten zuhauf hinterlassen. Fast alle großen Theatermacher sind durch das Bochumer Schauspielhaus gegangen, ein paar als Intendanten, die meisten als Regisseure. Hier hängt die Geschichte noch in der letzten Vorhangfalte. Und wer diese einmal kräftig durchschüttelt, dem fallen die Devotionalien haufenweise vor die Füße. Hans-Peter Litscher, der fantasiereiche Schweizer Schwadroneur, hat geschüttelt und dabei Erstaunliches zutage gefördert: „Herz und Hund und Kunst und Leben“ heißt sein Projekt, durch das er als hinkender Theaterschrat im schwarzen Outfit mit langen grauen Haaren, halb gebundenen Schuhen und einem Gehstock persönlich führt.

Am Anfang dieses zwischen Dichtung und Wahrheit frei flottierenden Bühnenrundgangs steht der nicht stubenreine Boxer Zadek, von Rainer Werner Fassbinder in einer Tierhandlung gekauft und ständig mit „Zadek, Platz!“ herumkommandiert, um dem gleichnamigen Intendanten eins auszuwischen. Und dann wäre da noch Winfried W. aus Witten, unersetzliches Faktotum, guter Geist und unermüdlicher Sammler Bochumer Theatralia und mit einer unbezähmbaren Vorliebe für Vierbeiner gesegnet. Ihm seien, so behauptet Litscher, die zahlreichen Ausstellungsgegenstände in den Foyer-Vitrinen zu verdanken: Wildgrubers „Hamlet“-Mantel, Voss‘ Baskenmütze aus „Hermannsschlacht“, Programmhefte und Requisiten, die Schultafel der berühmten „Iphigenie“-Inszenierung, Rollenbücher von Minetti und vor allem Hundenippes jeder Couleur und jeder Rasse.

Natürlich ist das alles Litschers unerschöpflicher Spürnase zu verdanken, der in Trüffelschweinmanier Fundus, Archive und Flohmärkte durchstöbert hat auf der Suche nach anreicherbarem Material. Und daraus entfaltet der Schweizer, dessen Totenbeschwörung „¡Barbara Rabarbara!“ beim Theater der Welt-Festival 2010 noch gut in Erinnerung ist, ein aberwitziges Panorama des Anekdotischen aus Bochums großer Theaterzeit. Er zeigt die Pissecken von Boxer Zadek, weiß vom Kirsten Dene-Kostümfetischisten-Verein zu erzählen, bringt uns Werner Schroeters unvollendetes Filmprojekt „La fidèle Lassie“ nah oder erinnert daran, wie Winfried W. die Hunde von Yves Saint Laurent bei einem Ingrid Caven-Konzert in Paris betreute. Litscher nimmt das Theater als großen Fabulierer beim Wort und entdeckt auch hinter den Kulissen gewaltiges Potential. Die Trennung zwischen Sein und Schein ist aufgehoben.

So wie jede gute Lüge immer mit Wahrheit durchsetzt ist, so ist auch bei Litschers Erzählungen oft nicht zu entscheiden, was Illusion und was Tatsache ist. Seinem Rat, den unwahrscheinlichsten Anekdoten zu glauben, sollte man Folge leisten: Der Hinweis auf eine Riefenstahl-Firma wirkt nur so lange absurd, bis man in einer Vitrine tatsächlich einen Perückenkopf mit der Aufschrift „Riefenstahl & Co. Wuppertal“ entdeckt. Letztlich ist Hans-Peter Litscher ein Verführer, der uns mit seinen Erzählungen aus 1001 Bochumer Theaternächten so lange umgarnt, bis wir hinschmelzen angesichts der Macht einer gut erzählten Geschichte und darüber die Zeit vergessen.

„Herz und Hund und Kunst und Leben“ von Hans-Peter Litscher | Schauspielhaus Bochum | 5./6.7. 19.30 Uhr | www.schauspielhausbochum.de

HANS-CHRISTOPH ZIMMERMANN

Hat Ihnen dieser Beitrag gefallen? Als unabhängiges und kostenloses Medium sind wir auf die Unterstützung unserer Leserinnen und Leser angewiesen. Wenn Sie uns und unsere Arbeit finanziell mit einem freiwilligen Betrag unterstützen möchten, dann erfahren Sie über den nebenstehenden Button mehr.

Neue Kinofilme

Köln 75

Lesen Sie dazu auch:

Aufbrausendes Paar
„Sturmhöhe“ am Schauspielhaus Bochum

Vorlesestunde mit Onkel Max
Max Goldt in den Kammerspielen Bochum – Literatur 01/25

Gegen Remigrationspläne
Elfriede Jelineks „Die Schutzbefohlenen – Was danach geschah“ am Schauspielhaus Bochum – Prolog 05/24

Ein Baum im Herzen
„Eschenliebe“ am Schauspielhaus Bochum – Prolog 03/24

Siehst du, das ist das Leben
„Der erste fiese Typ“ in Bochum – Theater Ruhr 06/23

Mit Psyche in die Unterwelt
„Underworlds. A Gateway Experience“ am Schauspielhaus Bochum – Prolog 01/23

Tonight's the Night
Musikalische Silvester an den Theatern im Ruhrgebiet – Prolog 12/22

Das Kollektiv als Opfer
„Danza Contemporanea de Cuba“ in Bochum – Tanz an der Ruhr 12/22

Zeichenhafte Reduktion
NRW-Kunstpreis an Bühnenbildner Johannes Schütz verliehen – Theater in NRW 12/22

„Es geht um eine intergenerationelle Amnesie“
Vincent Rietveld über „Bus nach Dachau“ am Schauspielhaus Bochum – Premiere 11/22

Keine Versöhnung in Sicht
„Einfach das Ende der Welt“ am Schauspielhaus Bochum – Prolog 10/22

The Return of Tragedy
Theater im Ruhrgebiet eröffnen die neue Spielzeit – Prolog 09/22

Theater Ruhr.

HINWEIS

Diese Website verwendet anonymisierte Cookies, um bestmögliche Funktionalität zu gewährleisten.
Mehr informationen
ladend