Wie von selbst laufende Hosen und der Chor der Trockenhauben. Nicht dass das Schauspielhaus Bochum in seiner langen Geschichte keine Grenzerfahrungen möglich gemacht hätte, die skurrilsten Dinge jedoch finden in der letzten Zeit immer dann statt, wenn die FIDENA 2014 dort zu Gast ist. Genau zehn Jahre ist es her, dass der Ukrainer Andrij Zholdak im Rahmen des Festivals selbst die Theatersprache im Schauspielhaus auf den Kopf stellte. Jetzt ist es die Belgierin Miet Warlop, die mit ihrer surrealen Materialschlacht-Performance dasinternationale Festival des Figurentheaters 2014 dort eröffnet.
Ganze 24 Theatergruppen aus Belgien, Bulgarien, Kanada, Spanien, den Niederlanden, Frankreich, Russland, dem Iran, Weißrussland und Deutschlandsind zur FIDENA 2014 eingeladen. Zehn Tage lang werden mehr als 40 Programmpunkte in Bochum, Herne und Essen präsentiert. Darunter sind fünf Uraufführungenund sechs Deutsche Erstaufführungen. Besonders eindrücklich zeigt sich die Verbindung zwischen Bildender und Darstellender Kunst. Hier ist in erster Linie die Needcompany zu nennen, die „What Do You Mean What Do You Mean and Other Pleasantries" zeigt, eine Auftragsproduktion für die FIDENA. „Das war nicht selbstverständlich", sagt Annette Dabs bei der Programmvorstellung. Sie sei ein Fan der belgischen Performancetruppe umJan Lauwers und Maarten Seghers und oft schon hinter ihnen hergereist, um sie zu bekommen, jetzt inszeniert sie sogar eine der Arbeiten.„The Ohno Cooperation Conversation On the O.H.N.O.P.O.P.I.C.O.N.O. Tautology".Hiertanzen Lauwers und Seghers einen bizarren, anrührenden Diskurs um Kunst und das Sprechen über Kunst: eine Melange aus tautologischen Theorien und der Möglichkeit im Tachismus das Unbewusste der Kunst unter Vermeidung jeder rationalen Kontrolle zu vermitteln. Schon 2007 haben sie unter diesem Titel ein Video produziert, das nun seinen Zwilling (beide 17:46 Min.) erhält und die zeitgleich auf die Bühne projiziert werden. Der Zuschauer möge so seinen Platz zwischen den zwei Gesprächen finden und den Zusammenhang zwischen den scheinbar unzusammenhängenden Zeitschienen. Tautologie eben.
„Mithalten" kann da nur noch die mehrfach ausgezeichnete russische Theatergruppe AKHE, die mit gnadenlosem russischem Chaos über die Theaterwelt hereinbrach. Explosives Ausdrucksvermögen und bizarre Bühnen-Bilder verdichten sich bei ihnen zu einem Konglomerat voll absurder Ideen mit hypnotischer Wirkung. Subversiv war schon eine Attitüde der 70er- und 80er-Jahre-Performanceszene, die auch vor Pornos und Exkrementen nicht halt machte. Bei „Gobo" stehen die wütenden Russen auch in dieser Tradition. In 17 Kapiteln tauchen Gartenzwerge in Teetassenwracks nach Schätzen, zerteilen grüne Laserstrahlen den Raum, zerplatzen Bierdosen unter Projektilen. Aus kleinen Installationen und kurzen Performances erwächst ein Heldenmythos, den die Avantgardisten aus St. Petersburg mal ironisch-sachlich, mal clownesk-komisch herunterbrechen: auf des Helden Sehnsucht und Einsamkeit.
FIDENA 2014 |16.-24.5. | Bochum, Herne und Essen | Infos: 0234 477 20
Hat Ihnen dieser Beitrag gefallen? Als unabhängiges und kostenloses Medium sind wir auf die Unterstützung unserer Leserinnen und Leser angewiesen. Wenn Sie uns und unsere Arbeit finanziell mit einem freiwilligen Betrag unterstützen möchten, dann erfahren Sie über den nebenstehenden Button mehr.
Junge Cyborgs und alte Zwerge
Festival FIDENA im Ruhrgebiet – Prolog 05/22
„Gut, wenn man auch mal über Liebe spricht“
Leiterin Annette Dabs zur Absage der Fidena und den Grand Prix d‘Amour – Premiere 05/20
Politische Puppenstrippenzieher
„Fidena“ vom 9.5. bis 18.5 in Bochum und anderen Orten – Bühne 05/18
„Der Kasper hat sich von keiner Autorität unterkriegen lassen“
Fidena-Chefin Annette Dabs zum Jubiläum unter dem Motto „resist“ – Festival 04/18
Experimentell, traditionell und international
Dreimal Fidena am 5.5. in Bochum – Theater 05/16
„Uralte Theaterformen, die uns aus den Socken hauen“
Annette Dabs über das Festival FIDENA – Figurentheater der Nationen – Premiere 04/16
All Power to the Puppets
Fidena in drei Städten vom 16.-24.5.
„Unser Format ist schon relativ einzigartig“
Die Fidena schreibt zum zweiten Mal den Medienkunstpreis „Kunstpiep“ aus – Sammlung 05/13
„Nicht alles, was irgendwo passiert, ist gleich eine Performance“
Die diesjährige FIDENA in Bochum, Essen und Herne zeigt 20 internationale Figurentheater-Kunstproduktionen - Sammlung 04/12
„Ich denke immer, wie machen wir das eigentlich?"
Annette Dabs über die FIDENA 2010 - Premiere 08/10
Ein zeitloser Albtraum
Franz Kafkas „Der Prozess“ im Bochumer Prinz Regent Theater – Prolog 12/24
„Vergangenheit in die Zukunft übertragen“
Regisseur Benjamin Abel Meirhaeghe über „Give up die alten Geister“ in Bochum – Premiere 12/24
Die Grenzen der Bewegung
„Danses Vagabondes“ von Louise Lecavalier in Düsseldorf – Tanz an der Ruhr 12/24
Stimme gegen das Patriarchat
„Tabak“ am Essener Grillo-Theater – Prolog 11/24
Freigelegte Urinstinkte
„Exposure“ auf PACT Zollverein in Essen – Prolog 11/24
Krieg und Identität
„Kim“ auf PACT Zollverein in Essen – Tanz an der Ruhr 11/24
„Ich glaube, Menschen sind alle Schwindelnde“
Regisseurin Shari Asha Crosson über „Schwindel“ am Theater Dortmund – Premiere 11/24
Liebe ist immer für alle da
„Same Love“ am Theater Gütersloh – Prolog 11/24
Bollwerk für die Fantasie
Weihnachtstheater zwischen Rhein und Wupper – Prolog 10/24
Mentale Grenzen überwinden
„Questions“ am Münsteraner Theater im Pumpenhaus – Prolog 10/24
Der Held im Schwarm
„Swimmy“ am Theater Oberhausen – Prolog 10/24
Torero und Testosteron
„Carmen“ am Aalto-Theater in Essen – Tanz an der Ruhr 10/24
„Hamlet ist eigentlich ein Hoffnungsschimmer“
Regisseurin Selen Kara über „Hamlet/Ophelia“ am Essener Grillo Theater – Premiere 10/24
„Was dieser Mozart gemacht hat, will ich auch machen“
Komponist Manfred Trojahn wird 75 Jahre alt – Interview 10/24
Das gab es noch nie
Urbanatix im Dezember wieder in Essen – Bühne 10/24