„Uralte Theaterformen, die uns aus den Socken hauen“
31. März 2016
Annette Dabs über das Festival FIDENA – Figurentheater der Nationen – Premiere 04/16
Alle zwei Jahre Fidena. Das heißt internationales Figuren- und Objekttheater in vier Städten im Ruhrgebiet. Ein Schwerpunkt des renommierten Festivals liegt in diesem Jahr auf Asien. Wir sprachen mit Festivalleiterin Annette Dabs.
trailer: Frau Dabs, die erste Eigenproduktion der Fidena: „Moondog“ – und gleich geheimnisvolles Treiben im Malersaal des Bochumer Schauspielhauses? Annette Dabs: Ja, geheimnisvoll. Ein bisschen davon muss sein. Es geht mir ja auch nicht darum, einfach nur Moondogs Geschichte auf der Bühne zu erzählen. Das kann man ja machen, aber ich will mit den Mitteln des Materials, des Objekts, also mich mit den eigentlichen Mitteln des Figurentheaters an den Menschen Moondog herantasten und etwas entwickeln, was ausgeht von seiner Blindheit als einem Zustand der mich herausfordert, dafür eine Entsprechung auf der sehr visuell geprägten Bühne zu finden. Ich habe dazu ein ganz stark haptisches Gefühl bei Moondogs Musik, und dazu kommt noch dieser Beat. Das hat alles das Konzept beeinflusst.
Regie – ein neuer Aspekt der Fidena?
Annette Dabs
Foto:
Simon Bauks
Annette
Dabs, in Lübeck geboren, ist gelernte Opern- und
Schauspielregisseurin. Seit 1997 ist sie Geschäftsführerin des Dt.
Forums für Figurentheater und Puppenspielkunst e.V. (dfp) und seit
15 Jahren Künstlerische Leiterin von FIDENA, einem der wichtigsten
Festivals seiner Art in Europa. Sie ist Vizepräsidentin des
Weltkongresses der weltweiten Vereinigung für Puppenspielkunst
(UNIMA) und Trägerin des Ehrenrings der Stadt Bochum.
Der neue Aspekt ist, dass wir eine eigene Produktion machen. Es soll jetzt nicht einreißen, dass ich Regie führe. Das bleibt eine Ausnahme. Ich habe in der Zeit im Deutschen Forum einmal Regie geführt, das war 2004. Das war in Halle, auch mit der Ausstatterin Stefanie Oberhoff. Aber seitdem nicht mehr und das ist ja jetzt lange her. Aber eigentlich bin ich ja Regisseurin. Aber es kann natürlich sein, dass das Festival nächstes Jahr jemand anderes beauftragt mit einer neuen Eigenproduktion.
Immer größer, immer teurer – steckt das Figurentheater im Eventmodus? Das finde ich ja nun gerade nicht. Das viele Geld kommt überwiegend von der Kulturstiftung des Bundes. Und wenn man sich vornimmt, die Wurzeln des Figurentheaters in Asien zu betrachten, dann muss man natürlich Geld haben. Sonst kann man das gleich vergessen. Ich will ja dann auch die authentischen Gruppen von dort einladen, und ich hab mich dafür wirklich auf die Suche gemacht. Ich habe Sachen gefunden, die anderen Leuten oft verborgen bleiben. So eine Produktion aus Südindien oder Mittelindien, die musst du auch alle erst einmal hierherbringen. Das ist ziemlich kostenintensiv. Und dazu noch die Entscheidung für das vietnamesische Wassermarionettentheater. Das ist eine Sache, wo ich auch selber sage, da müssen wir hinterher überlegen, ob wir so was nochmal machen. Weil das alles sprengt, was wir bisher an Logistik und an Organisation auf uns genommen haben. Unabhängig von dem, was es kostet.
Verändert das aber nicht auch deren Produktion, wenn sie förmlich herausseziert werden aus ihrem eigentlichen Umfeld? Also erstmal: nein. Denn das, was sie da jetzt gerade in Vietnam machen, ist wirklich ausschließlich für die Touristen. Ich stelle es jetzt hier in einen Kontext von internationalem Figurentheater und in Bezug zu verschiedenen traditionellen Formen des Figurentheaters. Hier werden sie künstlerisch sicher besser reinpassen als in ihre Bemühungen um den Tourismus in Vietnam.
Aber das Programm ist auch eine hochpolitische Reflexion auf das Zeitgeschehen? Das ist es definitiv. Es ist zum einen mein größtes Bedürfnis zu zeigen, welche Wertschätzung wir anderen Kulturen entgegenbringen sollten und dass wir auch eine Verantwortung haben, dass sie diese Traditionen auch dort leben können. Soll heißen, dass nicht nur wir hier eurozentristische, großartige Dinge tun, sondern dass es in Indien längst uralte Theaterformen gibt, die uns hier aus den Socken hauen sollten. Indem wir diese Wertschätzung auch zeigen, erleichtern wir dort vielleicht deren schwierigen Prozess, von ihren Regierungen etwas mehr Unterstützung bekommen oder einfach nur mehr Anerkennung. Ich denke, es ist sehr wichtig, dass auch wir aufpassen, dass diese alten Traditionen weltweit nicht verloren gehen. Außerdem haben wir schon vor zwei Jahren einen ganz langen Dokumentarfilm darüber gezeigt, wie die Puppenspielformen beispielsweise in Indien vor die Hunde gehen. Darin geht es oft darum, dass Grundstücke freigezogen werden, um sie teuer zu verkaufen, Grundstücke, auf denen Puppenspieler noch immer gemeinsam als Gruppe leben. Und dass sie nicht in irgendwelche Mietshäuser gesteckt werden wollen, weil sie so einfach auch nicht arbeiten können. Ansonsten gibt es ganz viele politische Themen, die mit Figurentheater transportiert werden.
Wie „Leningrad“? „Leningrad“ ist eine der Produktionen, die ich ganz entschieden eingeladen habe, obwohl ich zu dem Zeitpunkt eigentlich gar keine Produktion mehr frei hatte, keinen Platz mehr frei hatte, und wo ich gesagt habe, dafür muss vielleicht was anderes rausfliegen. Das ist wirklich eine schockierende Produktion und da nehme ich auch in Kauf, dass es ästhetisch gegen Ende hin eine kleine Länge kriegt und auch so ein kleines russisches Geschmäckle. Wenn man es sieht, merkt man sicher, was ich damit meine. Doch da ist die Relevanz höher zu bewerten, als dass es künstlerisch genauso anspruchsvoll wäre wie etwa Maarten Seghers.
Genau. Der kommt ja wieder. Auch Maarten Seghers’ Programm „O – or The Challenge Of This Particular Show Was To Have Words Ending in O“ ist politisch sehr brisant.Er fragt sich: Wer verkauft uns welche Nachricht wie. Das ist konzeptmäßig wieder ganz weit vorne, wenn man beispielsweise daran denkt, dass Russland uns erzählt, sie hätten nichts zu tun mit der Gewalt in der Ukraine, und wir denken, wir verstünden die Welt nicht mehr. Oder niemand weiß inzwischen mehr, was da eigentlich in Syrien passiert. Das ist eigentlich das Thema bei Seghers‘ Beschwörungsgesang über die Wahrheit.
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