Das Ramayana gehört zu den Grundbausteinen der indischen Kulturgeschichte, wie Homers Odyssee zu unserer. Doch was verstehen wir von dieser fast 2000 Jahre alten Geschichte, hier in Europa, die aus einer ganz anderen Welt zu kommen scheint? Anurupa Roy setzte im Rahmen der Fidena, dem internationalen Figurentheaterfestival im Prinz-Regent-Theater Bochum, einen Teil der Geschichte für uns in Szene.
Es ist die Geschichte des Rama, Re-Inkarnation des großen Hindu-Gottes Vishnu. Und um seine entführte Frau Sita zurück zu gewinnen braucht er eben keine transzendente und abstrakte göttliche Kraft, sondern die sinnliche Kraft des Tieres – er verwandelt sich in einen Affen. Im wie von Mondschein beschienenen Theatersaal setzt sich einer der Puppenspieler eine Maske auf, hüpft durch die Zuschauerreihen und knurrt die Leute bedrohlich an. Und während er noch mit Drohgebärden beschäftigt ist, erscheint Sita: die Puppe liegt auf einem Altar, beleuchtet wie eine Trophäe. Die Chance ist vertan und am Ende geht alles im Feuer der Eifersucht zugrunde, Rama bleibt einsam auf seinem Thron zurück, eine hölzerne Puppe mit stählernem Blick.
Rama ist einer dieser menschlichen Götter, die hier in Europa viel zu früh gestorben sind: Er ist eifersüchtig und jähzornig, vergräbt sich in Liebeskummer, macht Fehler. Es ist bezeichnend, dass es in dieser hinduistischen Erzählung nicht um eine Mensch- sondern Tierwerdung Gottes geht. Dem folgt auch Roys Figurentheater: Es ist eine Inszenierung animalischer Energie, so kunstvoll, dass man sich ihr ganz hingeben kann.
Die Künstler-Kombo um den Belgier Marten Seeghers macht es einem weniger leicht, sich ihrer Kunst hinzugeben: „O. Or the Challange Of This Particular Show Was To Have Words Ending in O“, so der Titel ihrer Darbietung in den Kammerspielen, ist künstlerische Verweigerungshaltung in Höchstform: Ein bis ins Unerträgliche verzerrtes Cello, Krach baut sich zum lautstarkem Pumpen einer brutalen Maschine auf, ein Tänzer hüpft zögerlich auf der spartanisch eingerichteten Bühne umher und sagt immer wieder „Up.“
Was ist hier los? „We don't know“, steht auf dem rosa Schal von Fritz Welch. Eigentlich haben Sie ja Recht: Woher sollen sie denn wissen, was das Publikum erwartet hat? Sie wissen nur: Die brutale Maschinerie des Kulturbetriebs läuft stur weiter, wir hören sie Pumpen und Trommeln. „We all know“, steht schließlich auf der anderen Seite des Schals. Und als Simon Lenski zum Schluss wieder zum Cello greift, zucken einige im Publikum schon angsterfüllt zusammen, doch er stimmt bloß ein sanftes Klagelied an. Eine großartige Rache der Kunst an ihrem Publikum – mit anderthalb Stunden vielleicht ein wenig lang, aber es soll ja auch weh tun.
Entspannung bietet da das Festivalzentrum der Fidena an der Rottstraße. Den Abschluss dieses facettenreichen Fidena-Tages macht der israelische Puppenspieler Ariel Doron mit Pinhas – und sorgt für heitere Lacher zu später Stunde. Das ulkige Kasperletheater aus dem Kibbuz hat aber auch seine Tiefe: Das antisemitische Narrativ von den Juden als „Christusmörder“, die mit der Shoah ihre Strafe bekommen haben, greift Ariel Doron auf, doch nicht der rotzfreche Pinhas bekommt letztlich auf die Mütze, sondern ein herrlich ins Lächerliche gezogener Hitler.
Von der versunkenen Mythenwelt des alten Indiens über lautstarke Dada-Attacken bis zum israelischen Puppenklamauk – beeindruckend, weche Bandbreite die Fidena an nur einem Tag abdeckt.
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