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Den schwarz-weiß-Blick vermeiden: Sizilien ist mehr als eine Mafia-Höhle
Foto: Barbara Klemm

Tagebuch al dente

25. Januar 2018

Andreas Rossmann stellt in der Buchhandlung Mirhoff & Fischer sizilianische Skizzen vor – Literatur 01/18

Draußen ist es dunkel, Nieselregen legt einen feinen Film auf die Baustellenbaken, die zum Bochumer Stadtbild zählen wie das Buch im Wappen. Im Inneren der Buchhandlung Mirhoff & Fischer bemühen sich die Buchhändler händeringend, die zahlreichen Besucher mit Sitzplätzen zu versorgen. Nicht jeder war so vorausschauend, sich vorab einen Platz zu reservieren – doch glücklicherweise finden sich in der Wohnung über der Buchhandlung noch ein paar Sitzmöbel. Man rückt zusammen, bekommt passend zur Lesung einen sizilianischen Wein offeriert und ist so bestens gerüstet für die literarische Reise nach Sizilien.

Nach einer kurzen Einführung durch den Buchhändler Johannes Fischer setzt Andreas Rossmann unmittelbar beim Landeanflug auf Sizilien ein – ohne auch nur eine angedeutete Begrüßung des Publikums. Die Aufgeregtheit im Flugzeug unter Touristen und Heimkehrern gleichermaßen schildert Rossmann ebenso stimmungsvoll wie das Auftauchen der Sehnsuchtsinsel im Flugzeugfenster. Als die Zuhörer so eingestimmt sind auf die virtuelle Reise, erzählt Rossmann ein wenig über die Entstehungsgeschichte seines Buches: „Mit dem Rücken zum Meer“ ist das Produkt einer Liebe des langjährigen NRW-Kulturkorrespondenten der FAZ zu Sizilien. Das Büchlein schildert tagebuchähnlich Impressionen von Reisen in fünf aufeinanderfolgenden Jahren. Fünf Jahre für rund 140 Textseiten (ein anderes wichtiges Element sind die Fotografien von Barbara Klemm) – den Umfang des Buches bezeichnet der Autor selbst kokettierend als „schwache Ernte“, doch es geht ihm darum, Impressionen des Alltags zu schildern, in kurzen Szenen ein wenig sizilianisches Lebensgefühl zu verbreiten. Und so lässt er uns kurz ins Flugzeug zurückkehren, um den Landeanflug eines anderen Jahres zu schildern, uns an einer bewegenden Wiedersehensszene teilhaben zu lassen.

Blinzelt in die sizilianische Sonne: Italien-Fan Andreas Rossmann, Foto: Andrea Hummerich

Selbstverständlich führt der Abend nach Palermo, beleuchtet das schwierige Image der Insel und der Stadt als Mafia-Höhle. So wird Roberto Alajmos literarische Annäherung an die Inselhauptstadt, die im Original den poetischen Titel „Palermo é una cipolla“ (Palermo ist eine Zwiebel) trägt, in deutscher Übersetzung zu „Palermo sehen und sterben“. Laut Rossmann schreckt dieses Image nicht wenige Touristen ab, in diesen Straßen auf Entdeckungsreise zu gehen. Doch natürlich spielt auch Rossmann mit Mafia-Klischees. Rossmann auf Reisen ist ein Tourist mit offenen Ohren. Ihn und seine Frau zieht es nicht ins Hotel, sondern ins familiäre Agriturismo, er beobachtet die Menschen im Café, in der Trattoria, Osteria und Focacceria, sucht das Gespräch mit dem Wirt und dem Markthändler. Sein offensichtlich sehr italienaffines Publikum schmunzelt, wenn in einem Dialog über „la Merkel“ hergezogen wird oder kurze italienische Floskeln in die Lesung eingestreut sind. Hier in der Buchhandlung ist versammelt, wer das Wiedererkennen sucht und findet, hier wird wissend genickt, wenn Orte genannt und Straßenszenen geschildert werden.

Als Vorleser seiner eigenen Texte erweist sich Rossmann leider nicht als Offenbarung. Er verliest sich recht häufig, manche Betonungen geraten ungelenk, als wisse er selbst nicht um den weiteren Verlauf eines Satzes. Hin und wieder blitzt eine gewisse Lebendigkeit auf, zum Beispiel in einer wörtlichen Rede. Möglicherweise hat er an diesem 23. Januar bloß einen schlechten Tag erwischt, er wirkt ein wenig fahrig und distanziert.

Literarisch sind die vorgelesenen Episoden erstaunlich dröge. Rossmann hat einen guten Blick für die Menschen und lässt diese durchaus lebendig werden, aber eine schon penetrante Bildungshuberei lässt die sinnliche Ebene verblassen. Straßengeräusche und Stimmengewirr, die der Zuhörer schon im Ohr hat, verebben schnell. Ebenso können sich Gerüche und Farben nicht entfalten angesichts der Zahlen, Daten, Fakten und vor allem immer wieder Namen, die der Autor nicht aufzuzählen müde wird. Natürlich kommt man auf Sizilien kaum um Literaten von Pirandello über Goethe bis Camilleri nicht herum – aber muss wirklich jede Jahreszahl erwähnt, jeder Querverweis aus dem Reiseführerwissen auf- oder gar abgeschrieben werden? Hörenswert sind die Passagen, in denen Rossmann den Menschen wirklich nahekommt, wie dem Sizilianer, der vorübergehend nach Australien ausgewandert war, wo ihn „die Mama“ täglich anrief und der letztlich auf seiner Heimatinsel die Liebe seines Lebens gefunden hat und nie wieder weg will. Oder aber jene Episode, in der der Erzähler seine Erlebnisse als Patient in einem sizilianischen Krankenhaus schildert und in der ihm mit besonderer Herzlichkeit und routinierter Unaufgeregtheit begegnet wird. Da ist das Schild mit dem durchgestrichenen Mobiltelefon, das vielstimmig ignoriert wird und da ist der Patient in Handschellen und Carabinieri-Begleitung – eine lebhafte und bunte Szenerie. Neben kostenloser Behandlung erhält der Reisende in diesem Krankenhaus noch ärztliche Ausflugstipps.

Eine andere inhaltlich eigentlich sehr schöne Geschichte ist die vom Bürgermeister der Stadt Villarosa, der für den Besuch der Nachbarstadt zwei Autos nutzt, da die Brücke auf der kürzesten Verbindung für PKW gesperrt ist und nur zu Fuß überquert werden kann. Der Bürgermeister und viele andere Bewohner des Ortes haben Zweitwagen auf der anderen Brückenseite geparkt, um lange Umwege zu vermeiden. Rossmann berichtet, dass er auf diese Geschichte in einer Zeitung gestoßen ist. Leider macht er nichts aus diesem schönen Sujet, stattdessen liefert er eine bloße Nacherzählung des Zeitungsartikels, verschenkt die schöne Story.

„Ich muss aufpassen, dass ich nicht das ganze Buch vorlese“, leitet Rossmann seinen Abschlusstext ein, und weil wir uns ganz in der Nähe des Schauspielhauses befinden, führt diese Episode ins griechische Theater in Taormina. Letztlich handelt es sich um eine Theaterrezension. „Die Frösche“ des Aristophanes stehen auf dem Programm und neben Anmerkungen zur Inszenierung flicht Rossmann auch Informationen zu den baulichen Gegebenheiten ein. Leider ein eher schwacher Abschluss des Abends.

Buchhändler Fischer verzichtet auf die Moderation eines Publikumsgespräches. Stattdessen regt er an, bei einem Glas Wein noch zu plaudern. „Sie dürfen alles tun“, lautet seine Aufmunterung und der Büchertisch ist mindestens ebenso gefragt wie der Weinausschank. So mancher macht sich aber auch auf den Heimweg ins kalte Dunkel, wo ihm die desillusionierten Gesichter von VfL-Fans begegnen, die definitiv das schlechtere Abendprogramm hinter sich haben.

Frank Schorneck

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