Kinokalender
Mo Di Mi Do Fr Sa So
10 11 12 13 14 15 16
17 18 19 20 21 22 23

12.594 Beiträge zu
3.820 Filmen im Forum

„Gespenster des Kapitals“
Foto: Diana Küster

Auch im Kollaps liegt eine Zukunft

27. November 2014

Balzac in Bochum. Ein Kapitalmarktseminar der Addams Family – Theater Ruhr 12/14

In gold we trust. Was ist, wenn es weg ist? Dann bleibt nur noch der Glaube an die Fiktion, an die Ziffer, an die Geister des Kapitals. Mitten in die unruhigen Zeiten des Negativzinses lässt Hermann Schmidt-Rahmer die Addams Family auf den Kapitalmarkt los. Er inszeniert in den Bochumer Kammerspielen Honoré de Balzacs „Mercadet le faiseur“, eine „Komödie“ von 1840, die zeigt, dass es die Welt, in der sich allein die Phantasie in bare Münze verwandelt, schon damals gab und wohl auch immer geben wird. Dumm bleiben die Dummen auf ewig, selbst wenn man ihnen die Wahrheit über ein forderungsbesichertes Wertpapier erklärt, sie werden es gierig kaufen. Schmidt-Rahmer benutzt den Balzac als Kokon, in dem die aktuellen Machenschaften der internationalen Geldhaie zu grotesken Zuständen führen, in denen dokumentarische Zitate deutscher Finanzminister, die Unsichtbare Hand von Adam Smith, aber irgendwie auch das eiskalte Händchen der Addams von Charles Addams über die Bühne geistern.


Doch worum geht es eigentlich? Das ist fix erklärt. Mercadet (Jürgen Hartmann, ein überzeugenderGomez Alonzo Lupold Addams)istein Jongleur des Finanzmarktes. Schulden sind sein Kapital, der Tresor gähnt vor Leere, jetzt droht die Pleite, wohlgemerkt nicht die Insolvenz, nein der Konkurs! Seine Frau (Veronika Nickl, köstlich, auch optischMorticia A. Addams) unterstützt ihn. Sie kennt die trüben Wasser, in denen er fischt, genau.Ihnen bleibt als Handlungsmasse nur noch Tochter Julie, deren Heirat mit De la Brive (Nicola Mastroberardino, in gleich drei Rollen zum Niederknien) den alten Glanz wiederherstellen soll. Natürlich kommt alles anders als die Addams denken, doch das ist ja auch gut so. Lehman-Bros.-Zitat: „Die Scheiße ist längst nach Europa rüber geschwappt.“ Schmidt-Rahmer baut Gesprächsprotokolle aus dem Oval Office, Mario Draghi und Condoleezza Rice in die gruselige Groteske, ein überaus amüsantes Spiel, doch wird es wieder leider ohne Effekt bleiben, die Parteien, die das System möglich machen, werden wiedergewählt. Das ist so sicher wie der Negativzins.

„Gespenster des Kapitals“ | R: Hermann Schmidt-Rahmer | Mi 3.12., So 14.12., So 28.12. 19.30 Uhr | Kammerspiele Bochum | 0234 33 33 55 55

PETER ORTMANN

Hat Ihnen dieser Beitrag gefallen? Als unabhängiges und kostenloses Medium sind wir auf die Unterstützung unserer Leserinnen und Leser angewiesen. Wenn Sie uns und unsere Arbeit finanziell mit einem freiwilligen Betrag unterstützen möchten, dann erfahren Sie über den nebenstehenden Button mehr.

Neue Kinofilme

Der Prank – April, April!

Lesen Sie dazu auch:

Nichts für Konfirmand:innen?
„Fabian oder Der Gang vor die Hunde“ in Bochum – Prolog 02/25

„Vergangenheit in die Zukunft übertragen“
Regisseur Benjamin Abel Meirhaeghe über „Give up die alten Geister“ in Bochum – Premiere 12/24

Die ultimative Rache vor weißer Schleife
„Die Fledermaus“ mit Schauspielstudierenden an den Kammerspielen Bochum – Auftritt 04/24

„Im Gefängnis sind alle gleich“
Regisseurin Katharina Birch über „Die Fledermaus“ an den Bochumer Kammerspielen – Premiere 03/24

Die Fallstricke des Anthropozäns
„Früchte der Vernunft“ an den Bochumer Kammerspielen – Prolog 09/23

Puzzlestücke des Elends, Papiermasken für Mitgefühl
Alice Birchs „[Blank]“ in den Kammerspielen Bochum – Auftritt 06/23

„Jede Person hat zwei Rollen“
Friederike Heller über „Das Tierreich“ an den Bochumer Kammerspielen – Premiere 03/23

Das Versinken von Erinnerung
„Der Bus nach Dachau“ bei den Bochumer Kammerspielen – Auftritt 12/22

Dekadenz und Obsession
„Der große Gatsby“ an den Bochumer Kammerspielen – Prolog 06/22

Von Jahoo, einem Unsichtbaren und Prinzessinnen
Ruhr-Theater-Ostereier im April – Prolog 03/20

Das ewige Prinzip Projektion
Das winterlich Weibliche im kurzen Monat – Prolog 01/20

Heilige Reinigung durch Zerstörung
Kollektive Performance über Heiner Müllers „Hydra“ in Bochum – Auftritt 01/20

Theater Ruhr.

HINWEIS