Langsam kriegt er das mächtige schwarze Krokodil von der großen Bühne im Bochumer Schauspielhaus. Es ist der Auftakt eines positiv verwirrenden Abends über Heiner Müllers „Hydra“-Text, in dem Herakles das mehrköpfige Monster in einem Wald sucht und findet. Zwölf Aufträge wurden ihm auferlegt, so wurde er der erste Arbeiter der Menschheit. Sandra Hüller und zwei Mitstreiter begeben sich auf einer jetzt fast leeren Bühne auf die Suche nach der Sagengestalt, im Hintergrund nur acht Verstärker mit Sequenzern, die das Feedback geben zu einem grandiosen Solo von Sandra Hüller, die sich erst einmal gemeinsam mit Sandro Tajouri und Moritz Bossmann an die Befreiung des Prometheus macht, einer Aufgabe, die in Müllers „Zement“ Tausende Jahre dauern wird und mit dem ungeheuren Selbstmord der Götter und der Kappung der letzten Verbindung zu ihnen durch den Tod des Adlers, der an Prometheus‘ Leber gefressen hatte, endet.
Während Hüller – alle drei haben sich erst einmal ein schickes Bärtchen angeklebt – erst noch darüber philosophiert, ob man den Gebrauch der Elektronik mit seinen Schleifen und Feedbacks dem Publikum erklären sollte, lassen die beiden Männer die Sounds wabern. Tom Schneider inszeniert den sehr performativen Abend unter der drohenden Felswand wie eine kultische Zeremonie des 21. Jahrhunderts. Den Text liefert er den Schauspielern per Knopf im Ohr, es wandert stoisch der rosa Engel der Verzweiflung über die Bühne, die Verkindlichung des blutigen Mythos macht ihn anders erfahrbar, setzt Behauptungen in die Gedanken, stört die durchlaufende Dramaturgie einer zerhackten Erzählung. Lakonisch bleiben die Gesten, fahrig die Choreografie. Weihnachtsliederfetzen wehen über die Bühne, jetzt wird an den Requisiten gearbeitet. BühnenbildnerMichael Graessner,der Vierte im Bunde, muss schuften und eine komplette Wohnungseinrichtung auf die Bühne schleppen, bevor Sandra Hüller mit Herakles in Müllers „Herakles 2“-Text im lebendigen Wald, der die eigentliche Hydra ist, die Bestie in sich selbst erkennt und so das Ende der existierenden Welt herbeiführt. Das alles geschieht im Dunkeln, nur von einem flackernden Licht erhellt.
Dann setzten die Windmaschinen ein und lassen das installative Bühnenbild in sich zusammenkrachen, Nebel fliegt aus allen Richtungen, wo eben noch Herakles die Welt auf dem Kühlschrank stützte, kracht diese nun scheppernd zu Boden. Das Licht wirft blendende Strahlen durch die Zerstörung. Alle Protagonisten sitzen regungslos dazwischen. Neues kann nur aus dem Chaos entstehen? Der Geräuschpegel steigt in kaum erträgliche Feedbackschleifen, Inferno beim Versuch, die Götter wieder zu erreichen. Der Vorhang fällt, doch nicht der Mythos. Noch muss der Göttersohn in „Herakles 13“ durch den Wahnsinn, die Endzeitstimmung vor dem geschlossenen Vorhang legt sich wie ein dunkles Laken über die Zuhörer. Die formidable Sandra Hüller ist das fast beiläufige Medium, durch das Heiner Müllers Zerstörung des antiken Mythos in den Köpfen der Zuschauer Gestalt annehmen sollte. Das Schlachten steht wieder am Ende, oder wenn man denn so will, wie am Anfang einer neuen götterlosen Zeit. Das ist ein 75 Minuten-Abend, der die Welt nicht in den Abgrund reißt, dessen inhaltliche Rückkopplungen aber für neue Ansätze hilfreich sein können.
„Die Hydra“ | R: Tom Schneider | Mi 15.1., Do 30.1. 19.30 Uhr | Kammerspiele Bochum | 0234 33 33 55 55
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