Ausgerechnet das bärtige KunstmarktspektakulumJonathan Meese stelltdie lang bewiesene Geschlechterungerechtigkeit an deutschen Schauspielhäusern wieder her und kratzt denMythos Lolita ins Zentrum seiner performativen Inszenierung. Ein Kunstprodukt Lolita aus der prüden Nachkriegszeit der 1950er auf der Bühne des Theaters Dortmund? Und wer jetzt denkt: Vladimir Nabokov. Ja, aber? Genau. Solche – nicht nur russische – Männerphantasien will der selbst ernannte Meister der Provokation aber mit dem eigenen Zitat, „Lolitas sind Puppen und spielen mit Puppen und dieses Puppenspiel ist komplett hermetisch“, überspielen, quasi neu formatieren. Für Meese sei Lolita ein Prinzip ohne eigene Interessen und daher die perfekte Verkörperung einer zu errichtenden neuen Ordnung. Sie sei das ideale, bloße Bild einer Sache, kein Mensch mehr, sondern ein Zustand, wie Marquis de Sade, Oscar Wilde, Scarlett Johansson oder Adolf Hitler. Eine super Kausalität. Cyborgs an die Kartenschalter, das werden wir uns im Februar nicht entgehen lassen und eigentlich müsste man mehrfach hin, denn ohne feste Absprachen entsteht an jedem Abend eine eigenständige Performance, der Regisseur will das „Prinzip Sporttasche“: Ensemblemitglieder und bekannte Gäste übernehmen alle Figuren des Romans gleichzeitig und müssen das, was sie zum Spielen brauchen, selbst mitbringen.
Die Beantwortung der nächsten Frauenfrage diesmal in den Bochumer Kammerspielen stammt aus einem Jahrhundert davor. Eigentlich fängt August Strindbergs berühmtestes Stück „Fräulein Julie“ recht modern an. Mittsommernachtsfest. Unter den Gästen die adlige Julie und natürlich Jean, Diener des Vaters und auch ihr Untergebener. Aber wie das so ist und eigentlich ist es ja immer so, weiß Julie nicht so recht, was sie will, also will sie erst mal Spaß und da kommt ihr der knackige Strebling gerade recht. Doch der will nicht nur angestellter „toy-boy“ sein, sondern reizt seine Karten nach der Liebesnacht aus, denn nun haben sich die Machtverhältnisse verschoben. Ein „Geschlechterkampf“ und dann noch in einer Standesgesellschaft, der wie immer ausgeht: Julie muss den Freitod wählen. Schon klar.
„Lolita (R)evolution (Rufschädigendst) – Ihr Alle seid die Lolita Eurer Selbst!“ | R: Jonathan Meese | Sa 15.2.(P) 19.30 Uhr | Schauspielhaus Dortmund | 02315 02 72 22
„Fräulein Julie“ | Fr 14.2.(P) 19.30 Uhr | Kammerspiele Bochum | 0234 33 33 55 55
Hat Ihnen dieser Beitrag gefallen? Als unabhängiges und kostenloses Medium sind wir auf die Unterstützung unserer Leserinnen und Leser angewiesen. Wenn Sie uns und unsere Arbeit finanziell mit einem freiwilligen Betrag unterstützen möchten, dann erfahren Sie über den nebenstehenden Button mehr.
Tödlicher Sturm im Wurmloch
„Adas Raum“ am Theater Dortmund – Prolog 04/24
Die ultimative Rache vor weißer Schleife
„Die Fledermaus“ mit Schauspielstudierenden an den Kammerspielen Bochum – Auftritt 04/24
„Im Gefängnis sind alle gleich“
Regisseurin Katharina Birch über „Die Fledermaus“ an den Bochumer Kammerspielen – Premiere 03/24
Die Fallstricke des Anthropozäns
„Früchte der Vernunft“ an den Bochumer Kammerspielen – Prolog 09/23
Puzzlestücke des Elends, Papiermasken für Mitgefühl
Alice Birchs „[Blank]“ in den Kammerspielen Bochum – Auftritt 06/23
„Jede Person hat zwei Rollen“
Friederike Heller über „Das Tierreich“ an den Bochumer Kammerspielen – Premiere 03/23
Das Versinken von Erinnerung
„Der Bus nach Dachau“ bei den Bochumer Kammerspielen – Auftritt 12/22
Das Viech im Karussell
„Woyzeck“ im Dortmunder Theaterstudio – Auftritt 10/22
„Die Urwut ist ein Motor des Menschen“
Jessica Weisskirchen über ihre Inszenierung des „Woyzeck“ – Premiere 09/22
Dekadenz und Obsession
„Der große Gatsby“ an den Bochumer Kammerspielen – Prolog 06/22
„Alle haben recht und gleichzeitig keiner“
Julia Wissert über „Kinderkriegen 4.0“ am Schauspielhaus Dortmund – Premiere 03/22
Turbokapitalismus im Pfirsichhain
Milan Peschel inszeniert „Früchte des Zorns“ – Prolog 09/21
Stimme gegen das Patriarchat
„Tabak“ am Essener Grillo-Theater – Prolog 11/24
Krieg und Identität
„Kim“ auf PACT Zollverein in Essen – Tanz an der Ruhr 11/24
Liebe ist immer für alle da
„Same Love“ am Theater Gütersloh – Prolog 11/24
„Ich glaube, Menschen sind alle Schwindelnde“
Regisseurin Shari Asha Crosson über „Schwindel“ am Theater Dortmund – Premiere 11/24
Mentale Grenzen überwinden
„Questions“ am Münsteraner Theater im Pumpenhaus – Prolog 10/24
Bollwerk für die Fantasie
Weihnachtstheater zwischen Rhein und Wupper – Prolog 10/24
Der Held im Schwarm
„Swimmy“ am Theater Oberhausen – Prolog 10/24
Torero und Testosteron
„Carmen“ am Aalto-Theater in Essen – Tanz an der Ruhr 10/24
„Was dieser Mozart gemacht hat, will ich auch machen“
Komponist Manfred Trojahn wird 75 Jahre alt – Interview 10/24
„Hamlet ist eigentlich ein Hoffnungsschimmer“
Regisseurin Selen Kara über „Hamlet/Ophelia“ am Essener Grillo Theater – Premiere 10/24
Das gab es noch nie
Urbanatix im Dezember wieder in Essen – Bühne 10/24
Die Zwänge der Familie
„Antigone“ in Duisburg – Prolog 09/24
Das schöne Wesen aller Dinge
Festival Spielarten 2024 in NRW – Prolog 09/24