Ein gewöhnliches britisches Ehepaar sitzt am heimischen Kaminfeuer und langweilt sich, man versucht es mit einem Gespräch, er singt die Nationalhymne, sie spritzt sich beim Stricken Sahne in den Mund. Unverkennbar Ionesco, der Anfang von „Die kahle Sängerin“. Aufgeführt wird das absurde Stück allerdings im Barocksaal des Schloss Herten und der ist in der LWL-Klinik für Psychiatrie. Sandra Anklam hat das Stück hier im Rahmen der Ruhrfestspiele inszeniert. Und es ist ein wirklich furioser Abend, voller wilder Ideen und glänzender Schauspielerleistungen. Man erspare mir hier nachzudenken, wer in dem Ensemble Patient und wer Klinikmitarbeiter war, das spielte hier absolut keine Rolle.
Die Wanduhr reißt die Tür auf und sagt die Zeit an, das Pro7-Kaminfeuer auf dem Flachbildschirm flackert. Ärzte und Patienten seien Scharlatane, sagt Mr. Smith gerade und lobt die Marine, die Gattin lobt lieber den rumänischen Folklore-Joghurt. Sprache kann so schwer sein, wenn sie aus verschiedenen Paralleluniversen kommt. Der wahre Haltepunkt an diesem Abend sind die Fresken-Engel über uns mit dem römischen Soldaten im Stuckgewirr, der Rest der Realität gerät arg ins Wanken. Das alte Ehepaar tritt zum Duell auf, „Spiel mir das Lied vom Tod“ ertönt, der junge Charles Bronson muss die Mundharmonika blasen. In Gedanken natürlich.
Bevor sie wegdösen, kommt Besuch. Mr. und Mrs. Martin, ein Ehepaar mit Kind, dessen Wahrnehmung getrübt ist, wie sonderbar, wie unbegreiflich, ihre Erinnerungen scheinen gleich zu sein, nur das Erkennen fällt schwer. Pink Panther Theme, Mr. Und Mrs. Smith kehren vom Umkleiden zurück, aber es sind nicht mehr dieselben Schauspieler. Gerade mit diesen Regietricks für immerhin 12 Protagonisten, potenziert Anklam die Absurdität Ionescos. Jede Handlung, jede Geste ist in maximale Skurrilität verpackt, da findet sich der Hasenkopf von Donnie Darko ebenso der „Firestarter“ von The Prodigy, wenn der Feuerwehrmann auftritt. Trash, Spaß und wilde Typen, die kaum ein Profi-Schauspieler erschaffen kann. Was will man mehr? Und die kahle Sängerin? Sie hat immer noch die gleiche Frisur.
„Die kahle Sängerin“ | R: Sandra Anklam | Di 2.6. 19 Uhr | Kreishaus Recklinghausen | 02361 921 80
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