Ausstellungen von Kurt Rehm sind ein seltenes Vergnügen. Die letzte größere Ausstellung fand 2004 im Kunstmuseum Bochum statt; schon davor gab es nur mit großen Abständen, aber dann pointiert, Präsentationen seiner Arbeiten. Freilich ist seine Kunst auch nichts für den Massengeschmack und den schnellen Blick. Dafür ist sie zu fein, zu filigran, zu versponnen und mit den Augen kaum zu bewältigen, schon in der Menge an Arbeiten, die als Zeichnung oder Papierschnitt im kleinen Format entstehen. Bereits die einzelne Bleistiftzeichnung hält eine Vielzahl an Bewegungen und Informationen zwischen Abstraktion und biomorpher Assoziation bereit. Trotzdem, die Kunst von Kurt Rehm ist eine der Beschränkung und Bescheidung, als Verdichtung auf engstem Raum und das in größter Konsequenz.
Kurt Rehm wurde 1929 in Duisburg geboren; er hat an der Werkkunstschule in Düsseldorf und 1951-52 an der Kunstakademie Stuttgart bei Willi Baumeister studiert, der sein Werk gewiss beeinflusst hat. 1952 datieren die frühesten in Mülheim ausgestellten Blätter. Die Zeichnungen sind kleiner als eine Postkarte, sie entstehen als Bilder, jeweils für sich. Kurt Rehm verwendet ausschließlich Bleistifte und verzichtet ganz auf Buntfarbigkeit. Aber er setzt den Graphitstift so virtuos und präzise, dass Variationen und Schattierungen in der Tonalität und der Dichte entstehen. Rehms Zeichnungen sind teils prozesshaft, mit frei auslaufenden Linien, und teils als abgeschlossenes Geschehen in ein Feld eingefasst. Daraus ergibt sich ein enormes Spektrum an Formen zwischen Verdichtung und Auflösung, amorpher Umspielung und streng geometrisch orientiertem, dabei verknapptem Sachverhalt. Jedes Blatt ist anders, und dabei sind hier nur Blätter von 1952 bis 1955 ausgestellt. Hingegen stammen die farbigen Papierschnitte aus der Zeit von 2005 bis 2010. Sie unterliegen sogar noch strengeren Vorgaben. Das Blatt ist nun quadratisch, auf dem schwarzen Grund sind jeweils sieben unterschiedlich monochrome Partien umeinander gelagert, die sämtlich geschwungen sind; Kanten kommen hier nie vor. Auch das ist eine Schule des Sehens zwischen möglichem Vertrautem und einzigartig Fremdem, und je mehr man in den Kosmos all dieser Bilder einsteigt, desto mehr entdeckt man, achtet auf Korrespondenzen und auf Bezüge zu unserer alltäglichen Dingwelt.
Besitzer dieser Blätter ist übrigens das Kunstmuseum in der Alten Post: Kurt Rehm hat 700 Zeichnungen und 39 Papierschnitte seiner Wahlheimat Mülheim geschenkt, und das ist, neben der Qualität der Werke, ein weiterer Anlass für die Ausstellung, die nur einen Teil daraus zeigen kann. Und ein dritter ist die geglückte Planung. Denn diese Schau, die im Graphikraum im ersten Obergeschoss stattfindet, wird „umrahmt“ von den Werken der zeitgleich arbeitenden Künstler der Ausstellung „Das Bauhaus und danach. Werner Graeff und die Nachkriegsgeneration“: Auch da geht es um die Frage, wie die Künstler nach dem Krieg zwischen Gegenständlichkeit und Abstraktion, Bauhaus und Informel für sich einen eigenen künstlerischen Weg gefunden haben. Kurt Rehm ist dies gelungen.
Kurt Rehm – Bleistiftzeichnungen 1952-1955, Papierschnitte 2005-2010
bis 18. September im Kunstmuseum Mülheim an der Ruhr in der Alten Post
www.kunstmuseum-mh.de
Weitere Texte zum Thema:
Landschaft als Struktur - Rezension der Ausstellung von Kurt Rehm
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