Hardcore-Pornoheftchen werden gereicht, ein Gläschen Sekt zum Einstimmen. Die Schauspielerin Lisa Jopt im authentischen Straps-Outfit betont gleich „Nicht reingucken, es ist widerlich“, alle schauen natürlich doch ins fleischige Einerlei. „Nicht einstecken“, ruft sie noch, doch einige der nicht ganz billigen Hefte sind längst verschwunden. Zu Lou Reeds „Satellite of Love“ bewegen sich die Ensemblemitglieder Lisa Jopt und Johann David Talinski nun ruchbar, wenn auch nicht anrüchig, an der Tabledance-Stange. Sie scheint dabei ein echtes und ansehnliches Talent zu sein, er eher weniger. Langsam sollte sich der Unterleib der Stadt nun endlich öffnen, erwartungsfroh registriert man auch schon Bewegung hinter der Glasbausteinwand, dann kommen sie hervorgeströmt, die creatures of the night – und entpuppen sich als normale Menschen. Die allerdings alle irgendwie im Milieu arbeiten.
„Pornoladen“ ist ein Abend der Geschichten rund um bezahlten Sex, ein wenig durchchoreografiert von Marc-Oliver Krampe. Er hat zehn Insider interviewt, die nun selbstbewusst und unprätentiös witzig ihre Lebensgeschichten erzählen. Im Zuschauerraum wird da gelernt, was der „Wackel“ (Schwulenstrich) ist, oder warum jemand dort mit einer Frikadelle für schnelle Befriedigung bezahlen kann. Aber auch eine winzige Soziologiestunde über die Maslowsche Bedürfnishierarchie darf nicht fehlen.
Aber die absonderlichten Geschichten derer, die nie Opfer waren, sind es wert, gehört zu werden. Michael hat den harten Darstellerjob bei Porno-Queen Teresa Orlowski gelernt. Als Beweis zeigt er einen kurzen Ausschnitt. Kathrin Anne hat sich ihr Studium als Hure verdient und Fraences ist seit nunmehr 30 Jahren dabei. Die Britin sieht sich als normale Dienstleisterin, setzt sich vehement für die Rechte von Prostituierten ein. Aber auch vom Wackel sind einige Profis vertreten, Volker und Christian, Ex-Stricher, pendeln heute zwischen Familie und Hotelerie. Tabus bricht allerdings Catharina, die als ausgebildete Sexualbegleiterin schwerstbehinderten und alten Menschen ein Stück Selbstwert und Normalität zurückgibt. Ein interessanter Abend mit absichtlich irreführendem Titel.
„Pornoladen“I Do 11.7. 19 Uhr I Casa Essen I 0201 812 22 00
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