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Foto: Theater Essen

„Bedürfnis nach Wiedergutmachung“

31. Januar 2023

Aisha Abo Mostafa über „Aus dem Nichts“ am Theater Essen – Premiere 02/23

trailer: Ist Rache ein Recht, wenn die Gerechtigkeit versagt?

Aisha Abo Mostafa: Wir starten gleich mit den schwierigen Fragen, aber es ist bei dem Stück selbstverständlich, dass man darüber reden muss. Ich sehe Rache auf jeden Fall nicht als ein Recht an, das man hat. Das würde auch unserem Staatssystem widersprechen. Ich glaube aber, dass es ein menschliches Empfinden gibt, ein Bedürfnis nach Wiedergutmachung, und je schrecklicher das Leid ist, das einem angetan wird, desto weniger scheint es möglich, einen Ausgleich zu finden. Auch das spricht gegen die Rache. Menschen, die so etwas erlebt haben, sagen oft, dass die erhoffte Verbesserung oder Erleichterung ausbleibt, selbst wenn man eine Art Rache bekommt. Aber ich kann durchaus Verständnis dafür haben, dass Menschen manchmal das Bedürfnis haben. Ich kenne das auch selbst, dass man sich fragt: Reicht das? Ist das gerecht? Ist das in Ordnung, dass Menschen, die Straftaten begangen haben, davonkommen? Deshalb ist es so wichtig, dass wir ein Rechtssystem haben, das möglichst genau arbeitet und die Menschen auch Konsequenzen spüren lässt. Konsequenzen, die zu dem System passen, in dem wir leben.

Wie erreicht man mit so einem Drama ein Theaterpublikum?

Ich glaube, dass grundlegend jeder Stoff für das Theater interessant sein kann. Weil gerade die Form Theater so viel Freiheit lässt. Wir sind nah dran am Publikum, wir haben viele Mittel, die uns zur Verfügung stehen. Jede Schauspielerin und jeder Schauspieler bringt in den Entstehungsprozess auch etwas Eigenes ein und wir können ganz anders arbeiten, als es beispielsweise beim Film üblich ist. Was ich an dem Stoff interessant finde, ist, dass er sehr viele Parallelen zu anderen „klassischen“ Theaterstücken aufweist. Das Bedürfnis nach Rache und die Tragik, Menschen zu verlieren, die man liebt – das kennen wir aus ganz vielen Stücken. Ich fand es spannend, das mit einem zeitgenössischen Stück zu erleben.

Was passiert denn da?

Das Stück nimmt Bezug auf die NSU-Morde und andere rechtsradikale, terroristische Anschläge. Es geht um eine Familie, die auseinandergerissen wird. Der Ehemann und das Kind der Protagonistin werden bei solch einem Anschlag ermordet. Daraufhin versucht die Protagonistin Katja Gerechtigkeit zu erlangen. Sie geht also vor Gericht, sagt dort aus, arbeitet mit einer Anwältin und mit der Polizei zusammen und versucht, die Täter zu finden und zu fassen. Gegen Ende kippt das Ganze und es wird schwierig für sie, auf dem gewaltlosen Weg Gerechtigkeit zu finden.

Welche Form der Gewalt ist denn auf der Bühne fordernder – die physische oder die psychische?

Ich würde sagen, bei uns ganz klar die psychische. Bei dem Ansatz, den wir haben, werden wir es hoffentlich schaffen, einen Einblick in die Innenwelt, die Psyche von dieser Frau zu geben. Sie muss so viel Leid ertragen und so viele Fragen für sich lösen. Sie wird in diesem Stück wirklich hin- und hergejagt und erlebt eine schlimme Sache nach der nächsten. Bei der Darstellung der physischen Gewalt werden wir uns bei der Inszenierung etwas zurücknehmen.

Wie hält man die Spannung in einem dann ja eigentlich bekannten Szenario, wo doch eigentlich jeder im Publikum weiß, wie es ausgeht?

Also, ich gehe nicht davon aus, dass alle das Ende schon kennen, nicht jeder hat den Film gesehen. Letztlich stehen aber der Film und das Stück ohnehin jeweils für sich, auch wenn die Geschichte dieselbe ist. Es gibt verschiedene Mittel, um Spannung zu erzeugen und zu halten. Ich glaube, dass es manchmal interessanter sein kann, sich beim Zusehen mitreißen zu lassen, Emotionen zu erleben, und vielleicht die nächste Wendung im Stück zu erwarten als nur die Handlung zu verfolgen.

Die zentrale Figur ist ja eine Frau. Der neue rechte Mob eigentlich von Männern dominiert, hat das für die Regisseurin eine besondere Funktion?

Was ich empfinde und bestimmt auch viele andere Frauen empfinden, besonders die mit Migrationshintergrund, ist diese doppelte Angst. Also, dass man auf der einen Seite weiß, man wird zum Ziel wegen des Migrationshintergrunds oder weil man mit Kulturen, Religionen oder politischen Gesinnungen in Verbindung gebracht wird, und dann kommt noch das Antifeministische oder das Sexistische dazu. Und das führt zu einer intersektionalen Ablehnung und Diskriminierung und Gefahr. Ich weiß durch die Statistiken auch, dass besonders Frauen und FLINTA-Personen von der aktuellen oder modernen rechtsradikalen Gewalt gefährdet und darum besonders schützenswert sind. Ich glaube, dass Solidarität die einzige Möglichkeit ist, da Besserung zu erreichen. Dass man es schafft, sich sowohl bei den Geschlechtern gegenseitig zu unterstützen, zu vertrauen, zu helfen als auch bei Menschen, die zum Ziel werden und solchen, die das erstmal nicht befürchten müssen.

Aus dem Nichts | 24.2. 19 Uhr (P) | Casa, Theater Essen | 0201 81 222 00

Interview: Peter Ortmann

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