Das Superwahljahr 2017 ist gelaufen, Rechtsruck inklusive. Da hilft auch der Ausblick auf das euphemistisch betitelte „Jamaika-Bündnis“, zu dem sich die sogenannten Gewinnerparteien auf Bundesebene derzeit zusammenraufen, nicht. Das Kinofest Lünen glaubt dennoch an das Wahl-Prinzip und bittet Ende November erneut an die Urnen. CineastInnen können mit ihrem Votum bestimmen, welcher Film den mit 10.000 Euro dotierten Hauptpreis „Lüdia“ erhält. Im Wettbewerb um die schicke Blumenmaid konkurrieren sieben Spiel- und drei Dokumentarfilme, die zu Festivalbeginn noch keinen Kinostart haben. Unter anderem ein Coming-of-Age-Drama der Generation Digital Natives, ein Genrefilm über eine zeitreisende Leiche oder ein Blick im Stil des Direct Cinema hinter die Kulissen einer forensischen Psychiatrie machen Hoffnung auf den deutschsprachigen Regie-Nachwuchs. Neben der Lüdia werden zehn weitere Preise vergeben, beispielsweise für den besten Kurzfilm, den besten Kinder- und Jugendfilm, die beste Filmmusik, der HWG-Drehbuchpreis oder der Berndt-Media-Preis für den besten Filmtitel.
Den Hauptpreis nicht von einer Fach-Jury, sondern durch das Publikum wählen zu lassen, ist in Lünen keine demokratische Koketterie. Viele der knapp 60 gezeigten, ausschließlich deutschsprachigen Filmbeiträge sind auch inhaltlich politisch, wie die Eröffnung mit Fatih Akins fiktionalisiertem NSU-Drama „Aus dem Nichts“ beweist. Sozialkritisch sind auch die verschiedenen Extra-Rubriken, wie das Screening von „Fighter“ in der JVA Werl, bei dem die Gefangenen im Anschluss mit Regisseurin Susanne Binninger über ihren Film diskutieren. Weitere Extras sind die beiden globalisierungskritischen Filme, die das Kinofest gemeinsam mit der Lüner Initiative für globale Armut (LIGA) präsentiert, eine Dortmunder Tatort-Premiere auf großer Leinwand oder Dominik Grafs und Johannes Sieverts kritische Spurensuche nach Mut und Widerstand in der deutschen Filmproduktion („Offene Wunde deutscher Film“).
Spannend wird auch das Extra mit Charly Hübners Regiedebüt „Wildes Herz“. Der bisher als Schauspieler bekannte Hübner porträtiert hier die Ost-Punkband Feine Sahne Fischfilet. Diese wurde mehrfach in Verfassungsschutzberichten als „linksextrem“ und staatsfeindlich geführt, engagiert sich aber unermüdlich gegen Rechtsextremismus, Homophobie und Sexismus. Im Vorfeld der Landtagswahl in Mecklenburg-Vorpommern 2016 organisierte die Band um Frontmann Jan „Monchi“ Gorkow eine Kampagne gegen den Rechtsruck mit diversen Solikonzerten – mit wenig Erfolg, aber sehr viel Überzeugung.
Wer nach vier Tagen in Lünen trotzdem noch denkt, früher sei alles besser gewesen, dürfte mit dem Abschlussfilm eines Besseren belehrt werden. In Felix Randaus „Der Mann aus dem Eis“ kämpft sich Jürgen Vogel als prä-mumifizierter Ötzi rachdürstig durch die jungsteinzeitlichen Alpen. Eine Epoche voller Gewalt und Entbehrungen, dafür ohne Schmerzmittel und Kino. Wir leben also in gar nicht mal so schlechten Zeiten, wenn auch noch viel zu tun bleibt. Frei nach dem bekanntesten Song von Feine Sahne Fischfilet sei daher die Feststellung erlaubt, dass die demokratische Kultur und Vielfalt Ende 2017 noch nicht „komplett im Arsch“ ist. Ein gleichermaßen unterhaltsames wie politisches Filmfestival wie Lünen dürfte daran seinen Anteil haben.
Kinofest Lünen | 23.-26.11. | Cineworld, Dortmund | www.kinofest-luenen.de
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