Kinokalender
Mo Di Mi Do Fr Sa So
18 19 20 21 22 23 24
25 26 27 28 29 30 1

12.582 Beiträge zu
3.811 Filmen im Forum

Filmgespräch mit Jens Schanze zu „Das gute Leben“
Foto: Betty Schiel

Blutige Kohle

25. Mai 2015

„Das gute Leben“ im sweetSixteen Dortmund – Foyer 05/15

Dortmund, 19. Mai – Tamaquito ist ein kleines Dorf in Kolumbien mit 180 indigenen Einwohnern, darunter der charismatischen Dorfchef Jairo Fuentes. Die sympathische Dorfgemeinschaft steht im Mittelpunkt des Dokumentarfilms La Buena Vida – Das gute Leben. Der Regisseur Jens Schanze stellte den Film zum Bundesstart persönlich im Dortmunder sweetSixteen vor, was zu einer überaus anregenden Diskussion führte. Tamaquito liegt unmittelbar neben dem größten Kohletagebau der Welt: Eine 700 Quadratkilometer große Mondlandschaft, die sich mit hemmungsloser Effektivität immer weiter in die Natur frisst. Eine Umsiedlung des Dorfes ist bereits beschlossene Sache, als Jens Schanze die Dreharbeiten beginnt, um die Verhandlungen zwischen der Dorfgemeinschaft und der Minen-Gesellschaft „El Cerrejón“ sowie den Umzug des gesamten Dorfes filmisch festzuhalten.

Da die Kohle von „El Cerrejón“ von internationalen Großkonzernen für westliche Industrieländer – darunter auch Deutschland – gefördert wird, habe diese Mine auch einen Bezug zu uns, stellte Till Strucksberg von der Initiative Dortmund-Kolumbien (IDK), die den Abend organisierte, einführend fest. Konkret führte Strucksberg aus, dass die Stadt Dortmund im Jahr 2013 von den Profiten der STEAG 34,5 Mio. Euro überwiesen bekam. Die Dortmunder Stadtwerke (DSW21) und die Dortmunder Energie und Wasser (DEW21) haben 2011 zusammen mit anderen Ruhrgebiets-Stadtwerken den Energiekonzern STEAG übernommen. STEAG ist einer der führenden Importeure und Vermarkter für Steinkohle. Ein Großteil dieser Importkohle kommt aus Kolumbien.

Moderator Till Strucksberg von der Initiative Dortmund-Kolumbien. Foto: Betty Schiel

Jens Schanzes Film ist ein filmisch komplex arrangiertes und eindringliches Zeugnis, mit welchen Praktiken der Konzern die Lebensgrundlage der Menschen vor Ort zerstört und wie der „Vermittlungsprozess“ sich konkret gestaltet. Man fühlt sich an Asterix und seine Gallier erinnert, die versuchen sich gegen einen übermächtigen Gegner zu Wehr zu setzen. Da Jairo Fuentos kein Zaubertrank zur Verfügung steht, setzt er im Namen der Dorfgemeinschaft auf den Dialog, um zu einem erträglichen Ergebnis für einen Neuanfang des Dorfes an einem anderen Ort zu kommen.

Jens Schanze bestätigt in der Diskussion, dass die kolumbianische Regierung in den Verhandlungen und dem Umsiedlungs-Prozess abwesend ist, obwohl sie letztendlich verantwortlich wäre. Auch zwei Jahre nach der Umsiedlung der Dorfgemeinschaft wurden die ausgehandelten Vereinbarungen von „El Cerrejòn“ nicht eingehalten, resümiert Schanze. Konkret geht es um die unzureichende Wasserversorgung in Neu-Tamaquito, die von Anfang an eine Hauptforderung der Dorfgemeinschaft war. Das Nachbardorf habe man mit Bulldozern ausgelöscht, erzählt Schanze; in Tamaquito wurde die Umsiedlung mit Workshops über innovative Geschäftskonzepte moderiert. „Statt Bulldozern kommen heute Psychologen und Sozialarbeiter.“ Ob die Kultur der Wayúu-Gemeinschaft das überstehen kann, sei fraglich. Tamaquito zeichnete sich durch politische und wirtschaftliche Autonomie aus; die Menschen waren Selbstversorger. In der neuen Situation findet Schanze eine „Informations-Autonomie“ für die Dorfgemeinschaft wichtig als Ausgleich gegen die außerordentlich erfolgreich agierenden PR-Abteilungen der Großkonzerne. Die Großmutter in Tamaquito findet: „Die Weißen sollen teilen.“ Dortmunds Oberbürgermeister Ullrich Sierau ist Vorsitzender des Aufsichtsrats der DEW21. Man hofft, dass er Gelegenheit hat, den Film „Das gute Leben“ zu sehen und dann der Großmutter eine Antwort gibt.

BETTY SCHIEL

Hat Ihnen dieser Beitrag gefallen? Als unabhängiges und kostenloses Medium sind wir auf die Unterstützung unserer Leserinnen und Leser angewiesen. Wenn Sie uns und unsere Arbeit finanziell mit einem freiwilligen Betrag unterstützen möchten, dann erfahren Sie über den nebenstehenden Button mehr.

Neue Kinofilme

Konklave

Lesen Sie dazu auch:

Kreuzberg und die K-Frage
Regisseur Robert Bohrer spricht in Dortmund über „Liebesfilm“ – Foyer 05/19

Diskursive Leinwand
Kino als Raum und Kunstform am European Art Cinema Day – Kino 10/18

Einfühlung gegen die Entfremdung
„Grenzgänger“ am 11. und 18. Dezember im SweetSixteen in Dortmund – Foyer 12/17

Mut gegen Ohnmacht
Nachwuchs-Filmemacherin Asli Özarslan zeigt „Dil Leyla“ im sweetSixteen – Foyer 06/17

Narvik, mon armour
Stranger than Fiction mit „Erzähl es niemandem!“ am 2.2. im SweetSixteen – Foyer 02/17

„Dinge verstehen statt Rollenbildern folgen“
„Die Hände meiner Mutter“ am 2.12. im sweetSixteen – Foyer 12/16

Sex und Arbeit
Filmvorführung von „SEXarbeiterin“ im sweetSixteen mit Debatte über Prostitution – Foyer 03/16

Erlebnis ohne Erlösung
Regie-Duo Heinze und Dietschreit über ihr Spielfilmdebut „Das fehlende Grau“ – Foyer 08/15

Sein Film und sein Herz
Süleyman Özdemir präsentierte am 19.6. sein Regiedebüt im sweetSixteen Dortmund – Foyer 06/15

Zahlbar in Lebenszeit
„Von der Beraubung der Zeit“ im sweetSixteen Dortmund – Foyer 04/15

Wem gehört die Stadt?
„Buy Buy St. Pauli" im sweetSixteen Dortmund – Foyer 02/15

Rassismus vs. Selbstbestimmungsrecht
„Orania“ im sweetSixteen Dortmund – Foyer 06/13

Foyer.

Hier erscheint die Aufforderung!