Dortmund, 19. Mai – Tamaquito ist ein kleines Dorf in Kolumbien mit 180 indigenen Einwohnern, darunter der charismatischen Dorfchef Jairo Fuentes. Die sympathische Dorfgemeinschaft steht im Mittelpunkt des Dokumentarfilms La Buena Vida – Das gute Leben. Der Regisseur Jens Schanze stellte den Film zum Bundesstart persönlich im Dortmunder sweetSixteen vor, was zu einer überaus anregenden Diskussion führte. Tamaquito liegt unmittelbar neben dem größten Kohletagebau der Welt: Eine 700 Quadratkilometer große Mondlandschaft, die sich mit hemmungsloser Effektivität immer weiter in die Natur frisst. Eine Umsiedlung des Dorfes ist bereits beschlossene Sache, als Jens Schanze die Dreharbeiten beginnt, um die Verhandlungen zwischen der Dorfgemeinschaft und der Minen-Gesellschaft „El Cerrejón“ sowie den Umzug des gesamten Dorfes filmisch festzuhalten.
Da die Kohle von „El Cerrejón“ von internationalen Großkonzernen für westliche Industrieländer – darunter auch Deutschland – gefördert wird, habe diese Mine auch einen Bezug zu uns, stellte Till Strucksberg von der Initiative Dortmund-Kolumbien (IDK), die den Abend organisierte, einführend fest. Konkret führte Strucksberg aus, dass die Stadt Dortmund im Jahr 2013 von den Profiten der STEAG 34,5 Mio. Euro überwiesen bekam. Die Dortmunder Stadtwerke (DSW21) und die Dortmunder Energie und Wasser (DEW21) haben 2011 zusammen mit anderen Ruhrgebiets-Stadtwerken den Energiekonzern STEAG übernommen. STEAG ist einer der führenden Importeure und Vermarkter für Steinkohle. Ein Großteil dieser Importkohle kommt aus Kolumbien.
Jens Schanzes Film ist ein filmisch komplex arrangiertes und eindringliches Zeugnis, mit welchen Praktiken der Konzern die Lebensgrundlage der Menschen vor Ort zerstört und wie der „Vermittlungsprozess“ sich konkret gestaltet. Man fühlt sich an Asterix und seine Gallier erinnert, die versuchen sich gegen einen übermächtigen Gegner zu Wehr zu setzen. Da Jairo Fuentos kein Zaubertrank zur Verfügung steht, setzt er im Namen der Dorfgemeinschaft auf den Dialog, um zu einem erträglichen Ergebnis für einen Neuanfang des Dorfes an einem anderen Ort zu kommen.
Jens Schanze bestätigt in der Diskussion, dass die kolumbianische Regierung in den Verhandlungen und dem Umsiedlungs-Prozess abwesend ist, obwohl sie letztendlich verantwortlich wäre. Auch zwei Jahre nach der Umsiedlung der Dorfgemeinschaft wurden die ausgehandelten Vereinbarungen von „El Cerrejòn“ nicht eingehalten, resümiert Schanze. Konkret geht es um die unzureichende Wasserversorgung in Neu-Tamaquito, die von Anfang an eine Hauptforderung der Dorfgemeinschaft war. Das Nachbardorf habe man mit Bulldozern ausgelöscht, erzählt Schanze; in Tamaquito wurde die Umsiedlung mit Workshops über innovative Geschäftskonzepte moderiert. „Statt Bulldozern kommen heute Psychologen und Sozialarbeiter.“ Ob die Kultur der Wayúu-Gemeinschaft das überstehen kann, sei fraglich. Tamaquito zeichnete sich durch politische und wirtschaftliche Autonomie aus; die Menschen waren Selbstversorger. In der neuen Situation findet Schanze eine „Informations-Autonomie“ für die Dorfgemeinschaft wichtig als Ausgleich gegen die außerordentlich erfolgreich agierenden PR-Abteilungen der Großkonzerne. Die Großmutter in Tamaquito findet: „Die Weißen sollen teilen.“ Dortmunds Oberbürgermeister Ullrich Sierau ist Vorsitzender des Aufsichtsrats der DEW21. Man hofft, dass er Gelegenheit hat, den Film „Das gute Leben“ zu sehen und dann der Großmutter eine Antwort gibt.
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