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Jörn Neumann und Daniel Poštrak im sweetSixteen Dortmund
Foto: Lisa Mertens

Zahlbar in Lebenszeit

27. April 2015

„Von der Beraubung der Zeit“ im sweetSixteen Dortmund – Foyer 04/15

Dortmund, 13.4. – 2011 lief der eher mittelmäßige Film „In Time – Deine Zeit läuft ab“ mit Justin Timberlake an. In diesem SciFi-Thriller ist Lebenszeit die weltweit gültige Währung. Im sweetSixteen im Dortmunder Depot lief das bemerkenswerte Werk „Von der Beraubung der Zeit“ von Daniel Poštrak und Jörn Neumann. In diesem Dokumentarfilm ist Lebenszeit abseits von Science Fiction, ganz real und dennoch fern des alltäglichen Lebens die Währung für das Abgelten einer Schuld. Drei Menschen ließen die beiden Regisseure zu Wort kommen, die schwere Schuld auf sich geladen haben und als Sühne Zeit ihres Lebens im Gefängnis abgeben. Gefängnis habe Wirkmächtigkeit, unser gesellschaftliches System basiere auf der Institution Gefängnis als letzte Form der Sanktionierung, doch trotz dieser Gewichtigkeit sei allgemein wenig über diese Institution bekannt, so begründeten Poštrak und Neumann die Beschäftigung mit dieser Thematik im gut besuchten sweetSixteen.

Helmut, Kenny und Samuel heißen die Insassen, die zum Zeitpunkt der Dreharbeiten bereits 12, 20 und 36 Jahre im Gefängnis gesessen haben und noch viele Jahre dort vor sich haben. Sie berichten über den Alltag in ihren Zellen, über Individualismus, persönliche Freiheiten, über Liebe, über Zeit. Wie sie an einem Ort, an dem diese lebenswichtigen Werte verweigert werden, noch Mensch bleiben können. Sie reflektieren ihr Leben vor und während des Knasts, schreiben ihre Gedanken und Gefühle nieder, sind Preisträger des Ingeborg-Drewitz-Literaturpreises für Gefangene, der am 19. April zum neunten Mal in Dortmund vergeben wurde.

Die unkommentierten Aussagen der drei Insassen ließen die Zuschauer im sweetSixteen sichtlich nachdenklich zurück. Dadurch dass die Regisseure bewusst auf das Erzählen von Einzelschicksalen verzichteten, dass sie Gefangene auswählten, deren Leben sich aufgrund der Länge der abzusitzenden Zeit immer weiter vom alltäglichen Leben entfernt, wurde der Charakter von der Institution Gefängnis im Laufe des Films immer deutlicher. Dass die Straftat der Protagonisten erst spät erwähnt wurde, hatte einige Zuschauer zunächst verwirrt, dann ihnen jedoch den Blick auf die bloßen Gefängnisinsassen ermöglicht, die die Gefängnisstruktur ohne persönlichen „Ballast“ abstrahiert darstellen konnten. Zudem stellte sich die Frage, inwieweit der Mensch nach der im Gefängnis verbrachten Zeit noch der gleiche sei wie der vor der Gefängniszeit, welche Funktion diese Art der Strafe übernehme, vor allen Dingen bei einer Gefängniszeit von über mehreren Jahrzehnten. Geht es um die reine Strafe, um den Schuldabbau durch Zeit- und Gesellschaftsentzug oder tatsächlich um Resozialisierung? Und das, obwohl der Faden zur „realen Welt“ mit fortschreitender Haft immer dünner wird? Regina Merkel von der Gefangeneninitiative e.V. hat sowohl gelungene Resozialisierung wie auch Lebensunpraxis erlebt, wie sie im sweetSixteen erzählte.

Mit „Von der Beraubung der Zeit“ gaben Daniel Poštrak und Jörn Neumann keine endgültige Antwort auf all diese Fragen und auf den tatsächlichen Sinn langer Haftzeiten in der heutigen Form, aber sie konnten im sweetSixteen unbekannte Einblicke in die Institution Gefängnis geben und eine Diskussion über eben diese auslösen. Mit dem Erscheinen der DVD planen Daniel Poštrak und Jörn Neumann in die Bildungsarbeit zu gehen und werden vermutlich so weitere Denkanstöße geben und zum Nachdenken über den Wert von Zeit und somit auch über die zynische Härte dieser Verweigerung von Lebenszeit anregen.

LISA MERTENS

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