Vom Gärtnern versteht Robert nicht das Geringste. Er ist immer Chef gewesen, hat die Drecksarbeit an Andere delegiert. Nun will er plötzlich alles selber machen im Garten seines Elternhauses, das er gerade zurückgekauft hat. Der überraschende Eifer hat in Wirklichkeit andere Gründe. Denn die Löcher, die Robert aushebt, sehen verdächtig nach Gräbern aus, nur seine Familie scheint das nicht zu bemerken. Anselm Weber setzt in seiner neuesten Regiearbeit in bester Hitchcockscher Manier auf die Wirkung von Suspense. Das Publikum hat bereits eine bestimmte Ahnung, dass der Abend im „Haus am See“ einen tragischen Ausgang nehmen wird.
Überraschend ist der Stoff also nicht, den Reto Finger, der Schweizer Dramatiker und derzeitige Hausautor des Bochumer Schauspielhauses geliefert hat. Vielmehr hat der Bühnenkrimi eine vielfach bewährte Grundkonstellation: Die gutsituierte, aber nicht gerade einträchtige Familie – drei Brüder plus Frauen – kommt nach vielen Jahren wieder im Elternhaus zusammen und natürlich kommen auf die reich gedeckte Abendtafel neben erlesenen Speisen und Weinen auch jede Menge alte Geschichten und Konflikte. Den Katalysator für das Wiederaufbrechen der brüderlichen Rivalitäten und Eifersüchteleien gibt die junge Vera, die eigentlich niemand kennt, die dieses Manko aber mit einem berechnenden Wechselspiel aus Kleinmädchencharme und Sexappeal zu überspielen weiß. Reto Finger nimmt für die psychologisch reizvolle Konstellation logische Schwächen in Kauf. Sprachlich sind seine Dialoge aber ausgefeilt. Die Figuren entschleiern ihr wahres Ich in interessanten Entwicklungen. Matthias Redlhammer spielt die zentrale Rolle hervorragend mit feinem schwarzem Humor. Der Siegertyp kann sich einfach nicht eingestehen, dass sein Gebäude aus Lebenslügen über ihm zusammenbricht. Bis zum bitteren Ende versucht er alle Anderen vom Gegenteil zu überzeugen – und das hat wirklich Witz. Es sind die durchweg guten Darsteller und die handwerklich solide Regie, die „Haus am See“ zu einer sehenswerten Produktion machen.
„Haus am See“ von Reto Finger I R: Anselm Weber I Schauspielhaus Bochum (Kammerspiele) I Sa 4.6., 19:30 Uhr, Fr 10.6. 19.30 Uhr, So 19.6. 19 Uhr
0234 33 33 55 55
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