Der „Club in der Psychiatrie“, eine Zusammenarbeit mit der Klinik für Psychiatrie, Psychotherapie und Präventivmedizin des LWL-Universitätsklinikums Bochum, unter der Leitung von Sandra Anklam, bescherte dem vollen Saal einen klugen Theaterabend mit Gefühl statt Gefühlsduselei. Das Stück von Sybille Berg behandelt das Scheitern in und am Leben aus zwei Perspektiven: oben und unten. Unten, das ist das „Gasleitungsexplosionsviertel“. Es ist bevölkert von denjenigen, bei denen das Scheitern vorprogrammiert scheint. Die Sorte Mensch, die man im einschlägigen Nachmittagsfernsehen als Karikatur ihrer selbst vorgeführt bekommt, um sich selbst besser zu fühlen, weil man sich vormacht, mit ihr nichts gemein zu haben.
Die Kassiererin, die eigentlich studiert hat und irgendwie in den Niedriglohnsektor reingerutscht und hängengeblieben ist, irgendein Sachbearbeiter in irgendeiner Firma, die in die Jahre gekommene Hure. Die Elendsgestalten verbindet nicht nur ihre soziale Stellung am unteren Rand der Gesellschaft, sondern vor allem ihre unendliche Einsamkeit, aus der es kein Entrinnen gibt. Als inmitten der Gefühlseinöde das zarte Pflänzchen Liebe aufkeimt, reißt ein Autounfall die Liebenden auseinander.
So ist das Leben. Oben, im Nobelviertel, thronen diejenigen, die es sich leisten können, über dem Rest der Gesellschaft. Diejenigen, die es geschafft haben im Leben. Es zeigt sich aber schnell, dass das menschliche Elend hier nur besser gekleidet ist. Statt um Geld sorgt man sich hier um hippe Elektrogeräte und nutzlose Teppiche. Die Einsamkeit ist dieselbe. Man sieht nur eben besser aus, während man am Leben zerbricht. Auch hier erscheint die Möglichkeit einer Liebe, wieder zerstört sie ein Autounfall. So ist das Leben? Während dieses Elendsspektrum vor einem ausgebreitet wird, schleicht sich eine Frage in den Hinterkopf: Erzählen und verarbeiten da die SchauspielerInnen ihr Leben? Und man schämt sich dann selbst für diesen Gedanken. Denn es stehen auch KlinikmitarbeiterInnen auf der Bühne – wer ist wer? Es ist nicht klar, es soll nicht klar sein, auf der Bühne sind sie alle gleich – die „Gescheiterten“ und die „Normalen“. So ermöglicht die Inszenierung ein sehr ehrliches Nachdenken darüber, was „Scheitern“ überhaupt ist und vor allem, wie es sich anfühlt.
„Club in der Psychiatrie“ I keine weit. Termine I LWL-Universitätsklinikum I 0234 50 77 17 32
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