Der Putzteufel wedelt bereits die metallische Feuerschutzwand in den Bochumer Kammerspielen, wenn die Zuschauer noch ihre Plätze einnehmen. Rumpelnd schiebt sie sich in die Höhe und gibt den Blick frei auf ein dunkles Tribunal in irgendeinem Wunderland, dessen Funktion ein anderer schwarz gekleideter Dämon erklärt: „Glauben Sie nicht, Sie könnten etwas wirklich wissen, bevor es zu spät ist.“ Doch noch weiß niemand etwas, außer, dass Alice wohl jetzt die Hölle erreicht hat. Von allen guten Geistern verlassen umschwirren hier verwirrte, böse Motten ein Licht, das sie nicht verstehen. „Achtung Stroboskoplicht!“ muss heute in den Theatern als Warnschild angebracht werden, wenn man diese technischen Geräte benutzt, „Vorsicht Nebelmaschinen!“ wird wohl auch irgendwann Standard werden.
Bereits zum dritten Mal ist die Herner Street-Art-Kompanie Pottporus hier Renegade in Residence, hat ihre eigene Tanzsprache zwischen zeitgenössischem Tanztheater und der Hip-Hop-Kultur etabliert, gilt längst als eine der zehn besten Tanzproduktionen deutschlandweit. Bei der neuen Inszenierung „Out of body“ ist der kubanische Choreograph und Tänzer Julio César Iglesias Ungo wieder einen Schritt weiter gegangen und hat mit Krunoslav Šebrek erstmals einen Schauspieler des Ensembles auf die Bühne gestellt, der als diabolischer Conférencierdurch den höllischen Abend führt, dessen Protagonisten die dunklen Ebenen ihres Unterbewussten durchwandern müssen. Diese Reise ist keineswegs ruhig, sondern aufreibend verstörend, für beide Seiten der Rampe. „Ohne Wahnsinn kein Verstand, und der Schlaf der Vernunft gebiert Ungeheuer aus uns allen“. Dieses Motto könnte der Strang sein, an dem sich die Tänzer entlanghangeln, immer auf der Suche nach dem Loch in der Fantasie.
Dabei bleibt das Spiel mit dem Unmöglichen immer nur Tagtraum, denn sich außerhalb des eigenen Körpers zu befinden, sich selbst zu beobachten, außerhalb von Raum und Zeit, losgelöst von Schmerzempfinden oder Schwerkraft, kann jeden überall erwischen, nicht nur im Angesicht des nahen Todes. Und so rennen die sieben Tänzer durch ihre Welt, verketten sich manchmal, werfen mit Wortfetzen um sich, die sie zum Teil selbst in mehreren Sprachen suchten und jetzt übertitelt als Waffe gegen den leeren Raum benutzen.
Das dramaturgische Chaos hat System, es muss vom Zuschauer nicht entschlüsselt werden, denn auch der kleine Tod kennt keine Regel, sich an Regelmäßigkeiten halten zu müssen. So muss man sich die 75 Minuten mehr als Einheit vorstellen, in der die Handlungen auch parallel ablaufen, obwohl sie linear zu sehen sind. Ungo strukturiert die Performance mit Sprache, mit Statements, nicht mit Handlung oder Geschichte: „Lassen Sie sich nicht von ihren Augen täuschen, noch von Ihren Ohren beunruhigen“. Jede Figur, die auftritt, agiert für sich, in sich, in der eigenen bizarren Hölle, die sich tief unter der realen Wohnzimmerwelt befindet. Selbst der Zocker als Pantomime (Alexis Fernandez Ferrera) entkommt ihr nicht.
Und dabei bricht der Choreograph auch mit den Erwartungen des Zuschauers an das inzwischen sehgewohnte Hip-Hop-Spektakel, ohne dessen Elemente grundsätzlich zu verleugnen. Sie sind die Adern, die keine Handlung mehr untermalen müssen, sondern Stilmittel der Auseinandersetzung mit der Wunderhölle sind, in der es Wissenschaftler gibt, aus denen Flaschensammler wurden (Christian Zacharas). Stille Wasser mit Luftballon, die sich in reißende Flüsse verwandeln (Youngung Sebastian Kim), oder die in sich gekehrte Schmetterlingsliebhaberin (Bénédicte Mottart), die von den Schönheiten irgendwann bis aufs Blut attackiert wird. Atemloses Tempo, griffiger Soundtrack und wilde Verknotungen (Said Gamal Sayed Mohamed) machen den Abend zu einem Ritt durch das eigenwillige Traumland Julio César Iglesias Ungos, und das auch nicht ohne Witz. „Am Ende des Spiels ruhen Bauer und König in derselben Schachtel“, und die ist der letzte gläserne Spielort des Stücks.
„Out of body“ I Fr 15.2., 19.30 Uhr I Kammerspiele Bochum I 0234 33 33 55 55
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