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Großer Pathos: Casper live im Westfalenpark.
Foto: Dominik Lenze

Jugendromantik als Spektakel

24. August 2015

Casper am 22.8. zum Tourfinale im Dortmunder Westfalenpark – Musik 08/15

Weißt du noch, im JZ Stricker, vor 30 Mann? Es ist gar nicht so lange her, da spielte Benjamin Griffey, besser bekannt als Casper, hauptsächlich in Jugendzentren im ostwestfälischen Hinterland, verkaufte seine Alben direkt aus dem Backstageraum und schrie sich vor einer überschaubaren Bielefelder HipHop-Szene die Seele aus dem Leib – ohne Band und großes Brimborium, nicht einmal ein DJ, die Beats liefen oft einfach vom CD-Player. Trotzdem: Der schmächtige Typ mit der Reibeisenstimme war auch damals als One-Man-Show ein Live-Ereignis.

 

Heute: Flammensäulen, Rauchkanonen, Feuerwerk vor 15 000 Fans – Casper ist längst in der Mitte der Pop-Gesellschaft angekommen. Und Live-Gigs, wie am 22. August im Dortmunder Westfalenpark, sind längst keine bescheidenen Rap-Konzerte mehr, sondern opulente Spektakel. Casper rappt, dass er „Auf und Davon“ will, im Hintergrund riesige Video-Projektionen von hohen, schneebedeckten Bergen, Wölfen und dem Star des Songs auf einem von Huskeys gezogenen Schlitten. Dann noch ein Klassiker: „Mittelfinger hoch“ – und zu jedem „hoch“ schießt eine Nebelmaschine mit lautem Zischen dichten Rauch bis zu zehn Meter in die Luft. Das Publikum schreit, frenetischer Applaus und Pappschilder mit Liebesbekundungen in der ersten Reihe.

 

Etwas abseits des Geschehens: die Fans der Altvorderen-Zeit und Rap-Connaisseure beim Keep-it-real-Stammtisch: „Früher, da hat der ja noch richtig gerappt.“ Oder: „Weißt du noch, die alten Alben?“ Nichtsdestotrotz, sie sind auch dabei. Warum eigentlich?

Qualm, Spektakel, Feuerwerk: Ein Blick aus dem Publikum. Foto: Dominik Lenze

Die HipHop-Gemeinde kennt gemeinhin zwei Todsünden, die sich grob in den folgenden Vorwürfen formulieren lassen. Sünde Eins: Der hat sich durch das Geld verändert. Sünde Zwei: Das hat mit HipHop nix zutun. Der Keep-it-real-Stammtisch hat Casper freigesprochen: Den Pathos heutiger Songs trug er schon damals auf Jugendzentrums-Bühnen. Und trotz musikalischem Langzeiturlaub in Indie-Gefilden strotzen Caspers Texte vor Reminiszenzen an alte Szene-Größen. Schließlich wär' es heut' nicht wie es ist, wär' es damals nicht gewesen wie es war, und so erinnert sich der Rap-Kenner abseits des Trubels auch noch an die Zeiten, in denen Casper auf Dirty-South Beats spittete, wie man so schön sagt. Dann horcht der Connaisseur kurz auf, als Casper auf den Beat von Kanye Wests und Jay-Zs „Niggas in Paris“ rappt und denkt sich: „Alter, da rappt er ja wie früher.“

 

Hach, früher. Früher als man mit 'nem Sixer Herforder Pils in seinem Provinznest auf den Nachtbus nach Bielefeld gewartet hat, ein wenig dem spießigen Dorfleben entfliehen, wo jeder Tag scheinbar nur aus Warten besteht.

 

Der Punkt ist, dass Caspers Musik damals wie heute immer von dieser Jugend-Nostalgie handelt: Kuschelige Erinnerung für die Mittzwanziger, romantische Luftschlösser für Teenager. In so vielen seiner Songs baut er ja eigentlich nur Luftschlösser: „Wir hol'n zurück was uns gehört“, rappt er mit viel Druck und Pathos ins Mikrofon. Wem hier von wem was weggenomen wurde und weshalb gerade jetzt „der Druck steigt“, weiß eigentlich niemand so genau. Stört aber auch niemanden.

 

Irgendwann erwischt sich auch der distanzierte Rap-Feinschmecker dabei, wie er mitgrölt: „Die Stadt soll brennen, brennen, brennen.“ Welche, wann, warum – das spielt hier in diesem Luftschloss im Jugendstil keine Rolle.

Dominik Lenze

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