Kann man dem Chaos mit Strenge begegnen? Oder werden alle menschlichen Regeln irgendwann endgültig der kosmischen Anarchie weichen? „Deo gratias“ nannte der flämische Komponist Johannes Ockeghem seinen 36stimmigen Kanon, den er um 1450 zur höchsten Ehre Gottes komponiert hatte. Aus einem einfachen musikalischen Gedanken entfaltet sich in diesem Chorstück ein flirrend faszinierendes endloses Geflecht aus Stimmen zu einem suggestiven Vokalraum, dem sich niemand entziehen kann. Für die Auseinandersetzung damit vergab die RuhrTriennale 2009 ein Auftragswerk an den in Moskau geborenen Berliner Komponisten Sergej Newski, den neben seinen klassischen kompositorischen Studien auch früh Kontakte zur Berliner Free-Improvisationsszene nachhaltig beeinflusst haben. Ockeghems Meisterwerk wurde zum Impuls und Grundlage für seine Komposition zu „Autland“. Newski entwickelt aus dem Kanonprinzip ein eigenes, eindringliches Sprachsystem. Unendlichkeit als formgebender Gedanke eint die schleifenartige Struktur beider Kompositionen – Unendlichkeit als spirituelle Verbindung der menschlichen Kreatur mit dem Göttlichen, Unendlichkeit aber auch als Trost auf dem Weg aus dem Chaos.
Das Musiktheaterstück „Autland“ beschäftigt sich mit der Frage nach den Möglichkeiten der Bewältigung von Reizüberflutung. Wie viel Chaos verträgt der Mensch? Wie viel Ordnung verträgt der Mensch? Autisten müssen beispielsweise zwangsläufig sehr spezielle Auswege aus dem Reizchaos finden, indem sie sich im Alltag eigenen, strengen Ritualen unterziehen. Newski erkundet diese Auswege und versucht, die Überlebensrituale spürbar zu machen. Dafür arbeitet er mit Sängern, Video und Elektronik. Mit Texten und Textfetzen in einem rotierenden Raum mitten in der Bochumer Jahrhunderthalle.
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