Unter der Regie von Gordon Kämmerer und der Künstlerischen Leitung von Fabian Lasarzik bringt das Tanzkollektiv Renegade in „Chromeschwarz“ Hiphop-Kultur von Rap über Graffiti bis Breakdance auf die Bühne in Dortmunds Kokerei Hansa. Im Interview beschreibt Fabian Lasarzik, wie die Inszenierung mit der Geschichte und Gegenwart der Hiphop-Szene im Ruhrgebiet umgeht.
trailer: Herr Lasarzik, wo einst die Kohle glühte, leuchtet jetzt das Chrom schwarz. Hoffentlich kein Symbol für den Untergang der Zechen?
Fabian Lasarzik: Die Zeit der Zechen ist ja schon länger vorbei. Aber ich habe beispielsweise die Zeche Zollverein oder die Kokerei Hansa nie als tot empfunden. Die Zechen sind immer noch Zechen, aber nicht mehr in Funktion. Sie haben eine andere ganz wichtige, identitätsstiftende Funktion für die Menschen in der Ruhrregion mit ihrer Diversität und Multikulturalität, die aufgrund der Industrialisierung entstanden ist. Aber die vergangene Zeit der proletarischen Kultur, davon handelt das Stück auch, die ist zu Ende.
Erinnerungsarbeit auf Basis künstlerischer Strategien?
Das ist eine bisschen hochgegriffene Formulierung, auch weil wir einfach nur künstlerisch arbeiten. Das Stück ist eins, das popkulturell funktioniert und auch reflektiert. Es wirft zwar einen Blick in die Vergangenheit, aber es geht nicht um die Erinnerungsarbeit an Industriekultur, sondern darum, dass insbesondere die Hiphop-Kultur im Ruhrgebiet außergewöhnlich und auch einzigartig in den 80er Jahren Fuß fassen und sich unabhängig von US-amerikanischen Vorbildern entwickeln konnte. So reflektieren wir die Ruhrregion. Ein Beispiel: Da sind Hiphop-Größen wie RAG, die haben sich ja explizit schon mit diesem Namen auf die montane Industriekultur bezogen. Wenn Du jetzt die vielen Künstler, die es damals schon gab wie Creutzfeld & Jakob oder Too Strong – das alles sind Hiphop-Positionen gewesen, die aus der proletarischen Kultur kamen und auch die Haltung dieser Kultur eingenommen haben. Die Verbindung von proletarischer Kultur und Hiphop ist ziemlich stark von Anfang an. Das hat sich geändert. Im „Chromeschwarz“ geht es auch um Graffiti und diese Art der Kunst hat insbesondere in Dortmund sehr früh Fuß gefasst und wurde sehr eigenständig. Chromschwarz im Graffitti ist zum ersten Mal in Dortmund aufgetaucht. Das heißt, du machst schwarze Innenflächen und umrandest das mit Chrom oder umgekehrt, eine Farbauftragung die du seit Jahrzehnten auf der ganzen Welt siehst. Das ist schon bezeichnend, dass das zuerst jemand in Dortmund gemacht hat und deswegen haben wir dem Stück auch den Titel gegeben. Das Schwarz muss jetzt nicht für Kohle stehen. Chrom muss nicht zwingend für Maschinen stehen, aber auf einer abstrakten Ebene glaube ich schon, dass das die Farben dieser ehemaligen Industrieregion waren.
„Vergangene Zeit der proletarischen Kultur“
Hiphop-Kultur, Spoken word, ist das kein Beatboxing?
Kann man so sehen. Beatboxing ist ja eher eine Technik wie du mit deinen Stimmbändern, Mund, Zunge, Lippen bestimmte Klänge erzeugst. Beatboxing kann bedeuten, dass du Wörter verfremdest, aber in erster Linie sehe ich das so, dass du Maschinenklänge nachmachst, die perkussiv sind. Das muss nicht sein, dass das mit Wörtern zu tun hat. Da gibt es eine Tradition in New York von Sprachgesang Ende der 1960er oder -70er, quasi der Vorlauf zum Rap. Das war eine Art Kunstform, wo Gedichte oder Lyrics vorgetragen wurde wie bei Gil Scott Heron, teilweise mit Musik begleitet, die aber so rhythmisch waren, als würde ein Metronom drunterliegen.
Hat der Kokerei-Raum für „Chromeschwarz“ eine Funktion?
Klar. Das Bühnenbild arbeitet ganz konkret mit dem Raum. Da wird alles mitgenutzt. Wir machen das in der Waschkaue, da werden Elemente wie diese Ketten, woran man Kleidung hochziehen konnte mitbenutzt. In den Einbuchtungen wo die Duschen waren werden intimere Szenen gespielt, die dann mit der Live-Kamera in den Hauptzuschauerraum übertragen werden. Aber das ist nicht naturalistisch, der Sound von diesen Ketten wird eher aufgenommen und Beats und Atmos und Rap entsteht.
Wie produziert man eine Renegade-Produktion, und wieso Gordon Kämmerer?
Gordon Kämmerer hat am Theater Dortmund unter Kay Voges Regie geführt, er kennt die Region und Szene, ist selber in elektronischer Musik und auch im Hiphop sehr bewandert. In Schwerin habe ich neulich ein sehr musikalisches Stück unter seiner Regie gesehen. Er ist jemand, der dem Popkulturellen sehr nahesteht, es auch reflektiert und thematisiert und das durchaus kraftvoll, provokant, trashig und direkt ins Gesicht und Ohr. Wir wollten jemanden, der Bezüge zur Region hat und trotzdem den Blick von außen. Was wir nicht machen wollen ist ein nostalgischer Rückblick unter dem Motto „so toll war die Hiphop-Kultur im Ruhrgebiet“. Der Abend wird keine Folklore, auch kein nostalgischer Rückblick, der sich in Sentimentalitäten verliert. Ich denke, dass Gordon dafür der Richtige ist.
„Keine Folklore, kein nostalgischer Rückblick“
Ist das nur was für Insiderpublikum?
Nein, absolut nicht. Es ist so abstrakt, dass niemand Kenner der Szene sein muss. Es tauchen Hiphop-Leute in Echtzeit, real auf der Bühne auf, das wird schon spektakulär. Die Personen werden aber auch eingeführt, es wird auch erklärt. Es ist kein reines Tanzstück, es hat auch Sprechszenen, es gibt junge Leute aus Workshops mit Talenten der Region, die erzählen, warum sie Hiphop so lieben und was besondere Orte und Momente sind. Das spielt in der Jetztzeit, die spielen quasi sich selber. Dann gibt es Graffitikünstler, Musiker, Rapper. Da braucht man kein Experte zu sein. Ich denke aber, wenn man hinausgeht, steht man der Hiphop-Kultur näher und versteht das als wichtigesintegratives und künstlerisches Phänomen gerade in der Ruhrregion.
Chromeschwarz | 5. (P), 6., 12., 13.8., jeweils 20 Uhr | Kokerei Hansa, Dortmund | 02325 467 01 81
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