Kinokalender
Mo Di Mi Do Fr Sa So
18 19 20 21 22 23 24
25 26 27 28 29 30 1

12.581 Beiträge zu
3.810 Filmen im Forum

„RS2828“
Foto: Erich Grisar/Stadtarchiv Dortmund

Es leuchtete damals nur die Westfalenhütte

31. März 2016

Arbeiter-Fotograf Erich Grisar auf Zeche Zollverein in Essen – Kunstwandel 04/16

Industriekultur. Ein zusammengesetztes Wort, dessen Wesen eigentlich viele Bedeutungen hat. Wenn es dem Tourismus dient, bleibt es doch Verballhornung einer Kultur der Ausbeutung. Insbesondere im Ruhrgebiet, wo auf der ehemaligen Zeche Zollverein, als architektonisches Glanzstück sogar Weltkulturerbe, dieser Hochglanz-Geschichtsklitterung umfangreich gefrönt wird. Mittendrin eine wunderbare Ausstellung des Dortmunder Arbeiter-Schriftsteller-Fotografen Erich Grisar (1898-1955). Umfangreich auf der 21-Meter-Ebene des Ruhr Museums inszeniert, mit Schaukästen seiner Bücher und Schriften, hängen dort gut 200 Schwarzweiß-Fotografien der Jahre 1928-1933, in der Hauptsache fotografiert in Grisars Heimatstadt Dortmund.

Anders als die Fotografien des Kölners Chargesheimer (1924-1971), die im letzten Jahr noch auf Zollverein zu sehen waren, oder Fotografen wie Albert Renger-Patzsch (1897-1966) oder Heinrich Hauser (1901-1955), die, obwohl fremd hier, mit Bildbänden wie „Schwarzes Revier“ oder „Ruhrgebiet-Landschaften 1927-1935“ bekannt wurden, war Grisar ein Teil der Welt, die er fotografierte, er wusste um die Existenznöte der Menschen hier. Dabei war er auch immer journalistisch und schriftstellerisch tätig, konnte mit seiner großen Familie davon leben, war aber bislang nur als Schriftsteller bekannt.

Die Ausstellung zeigt Momentaufnahmen einer dunklen Zeit, in der Menschen um die Existenz kämpfen, aber auch lachen und Kinder haben, die noch spielen können. Grisar-Zitat: „Und eine Kohlelunge haben die Kinder schon, kaum daß sie gehen können.“ Dennoch ist der Klärschlamm einer Kohlegrube das Paradies für Jung und Alt. Die Kleinen bauen hier aus alten Ziegeln Buden und Panzer, die Großen holen die Schlammkohle aus den Absetzbecken der Zeche Scharnhorst. Verbotsschilder auf dem Bild daneben, was für Verbotsschilder? Grisar machte viele Reportagen für die Volksblatt-Illustrierte. Neben der Dokumentation eines Schlachthofes und der Arbeitspferde unter dem heroischen Titel „Die Proletarier unter den Tieren“ hat die Arbeiter-Zeitschrift am 2. Februar 1929 auch eine Seite „Tote Arbeitsstätten“. Schon damals war das ein Thema im Ruhrgebiet, obwohl das Wort Strukturwandel noch nicht erfunden war; Ringofenziegeleien, Kokereien und Zinkhütten mussten daran glauben, aber es gab ja auch billige Arbeitskräfte zuhauf, und wenn das nicht reichte: Die sozialistische Jugend und die Sozialdemokratie (ja, damals gab es die noch) prangerten Kinderarbeit im eigenen Land an.

Dass man diese knallharten Bilder heute überhaupt sehen kann, ist wohl dem Zufall geschuldet, vielleicht auch der Neuauflage seiner Romane „Ruhrstadt“ (1931), der erstmals 2015 veröffentlichte „Cäsar 9“ und seine persönlichen Erinnerungen „Kindheit im Kohlenpott“ (1946) in Bielefeld. Jedenfalls wurde der im Dortmunder Stadtarchiv lagernde fotografische Nachlass Grisars (davon mehr als 1.500 Negative und Glasplatten allein übers Ruhrgebiet) erstmalig ausgewertet und nun endlich der Öffentlichkeit präsentiert. Ich hoffe, dass dadurch auch der geschönte, verdrehte Blick auf die sogenannte „Route der Industriekultur“ in eine andere Richtung gelenkt wird. Sehenswert sind die großartigen Aufnahmen von Erich Grisar allemal. 

Erich Grisar | bis 28.8. | RuhrMuseum, Essen | 0201 246 81 444

PETER ORTMANN

Hat Ihnen dieser Beitrag gefallen? Als unabhängiges und kostenloses Medium sind wir auf die Unterstützung unserer Leserinnen und Leser angewiesen. Wenn Sie uns und unsere Arbeit finanziell mit einem freiwilligen Betrag unterstützen möchten, dann erfahren Sie über den nebenstehenden Button mehr.

Neue Kinofilme

Konklave

Lesen Sie dazu auch:

Ruhrgebietsfilmgeschichte erleben
„Glückauf – Film ab!“ im Essener Ruhr Museum

Die abwesenden Menschen
Jörg Winde im Dortmunder Museum für Kunst und Kulturgeschichte

Die Macht der Bilder
Katharina Sieverding im Düsseldorfer K21

Roter Teppich für das Kino
Kino- und Filmgeschichte des Ruhrgebiets im Essener Ruhr Museum – Ruhrkunst 08/24

Lebendige Zeitgeschichte
Marga Kingler im Essener Ruhr Museum – Ruhrkunst 07/24

Lichtspiele mit Charme
Eröffnung der Ausstellung „Glückauf – Film ab!“ im Ruhr-Museum – Foyer 07/24

„Keine klassischen Porträtfotografien“
Kuratorin Kerrin Postert über „UK Women“ in der Ludwiggalerie Schloss Oberhausen – Sammlung 06/24

Intensive Blicke
Fotografin Annelise Kretschmer im MKK Dortmund – Ruhrkunst 03/24

Das eigene Land
„Revisions“ im Rautenstrauch-Joest-Museum Köln – Kunst in NRW 03/24

Unter unseren Füßen
Archäologie der Moderne im Ruhr Museum – Ruhrkunst 02/24

Kunstvolle Stahlarbeiten
„work comes out of work“ in Bochum – Kunstwandel 01/24

Futter fürs Bildgedächtnis
Pixelprojekt-Neuaufnahmen in Gelsenkirchen – Ruhrkunst 08/23

Kunst.

Hier erscheint die Aufforderung!